Durch einen Kollegen wurde ich auf einen Beitrag des NDR zum Thema „Prüfbericht: Wie Versicherungen Schäden klein rechnen“ aufmerksam. Sie finden diesen interessanten und vor allem informativen Bericht hoffentlich noch lange in der NDR-Mediathek mit dem nachfolgenden Link:
Dort heißt es einleitend zu dem TV-Bericht:
„Auffällig oft stufen sogenannte Prüfdienstleister einen Versicherungsschaden viel geringer ein als unabhängige vereidigte Gutachter. Holger H. hatte einen Unfall mit dem Motorrad. Ein Autofahrer hatte ihm die Vorfahrt genommen. H. ließ einen Gutachter für das Kfz-Wesen sein kaputtes Motorrad untersuchen. Der Gutachter bezifferte den Schaden auf fast 7000 Euro. Der von der Versicherung in Auftrag gegebene Prüfbericht kam gerade mal auf die Hälfte: 3500 Euro. Teils gehen Versicherungen noch weiter: Sie lassen die Schadenssummen durch künstliche Intelligenz allein mittels Algorithmen bestimmen.“ 1)
Ein alter Hut
Für einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin ist das eigentlich ein „alter Hut“. Das machen Versicherer schon so lang, wie ich als Jurist denken kann! Aber warum können Sie das machen? Weil die Beteiligten Unfallopfer es mit sich machen lassen. So einfach ist das! Eines machen sich die Versicherer dabei meines Erachtens zunutze. In Deutschland haben viele Menschen bestimmten Institutionen gegenüber einfach zu viel Vertrauen. Für diese Menschen ist es einfach undenkbar, dass eine Versicherung „nur an sich denkt“. Sie haben das aus anwaltlicher Sicht freundliche, positive Vorurteil, dass sich derartige Institutionen, wie auch bspw. Ihre Bank zu 99,9 Prozent an Recht und Gesetz halten. Sie Ärmsten, sie kennen wirklich nicht Ihre Bank oder Ihre Versicherung!
Ablauf einer Unfallregulierung
Wie läuft so eine Unfallregulierung überhaupt ab? Stellen wir uns vor, Sie gehen tatsächlich nach einem Verkehrsunfall mit Ihrem Fahrzeug zu einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin. Zunächst wird man sich von Ihnen den Sachverhalt genau schildern lassen, die Daten der Beteiligten aufnehmen usw. usf. In dem eigentlich ersten juristischen Schritt wird dann mit Ihnen geklärt, ob Sie tatsächlich 100 Prozent Ihres Schadens geltend machen können. Denn viele Fahrzeugführer wissen nicht, dass die sog. Betriebsgefahr stets wie ein Damoklesschwert über Ihnen schwebt. Die Betriebsgefahr besagt mit einfachen Worten, dass Sie allein wegen der Gefährlichkeit Ihres Fahrzeugs mit 20 bis 25 Prozent mithaften, auch wenn Sie im klassischen Sinne keine Schuld an dem Unfallgeschehen trifft! Es ist dann anwaltliche Kunst, den Sachverhalt so zu präsentieren oder Dinge des Sachverhalts zu ermitteln, dass diese Betriebsgefahr ausnahmsweise vollständig zurücktritt. Also, den vollen Schaden ersetzt zu bekommen, ist bei Verkehrsunfällen mit einem Fahrzeug gar nicht so einfach!
Erster Schritt ist also, Rechtslage und tatsächlichen Art und Umfang der Haftung der Gegenseite klären und eigene Mithaftung gegebenenfalls ausschließen.
Allein für diesen enorm wichtigen Punkt sollte man nach einem Verkehrsunfall, für den man sich nicht oder nicht allein verantwortlich fühlt, immer einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin aufsuchen.
Wenn die Frage der Haftung oder einer etwaigen Mithaftung geklärt ist, kommen im zweiten Schritt die Klärung einzelner Schadenpositionen. Dieser Bereich zielt dorthin, worüber auch der oben erwähnte TV-Beitrag des NDR berichtet. An dieser Stelle zu diesem Teilbereich nur so viel. Allein das Anmieten eines Ersatzwagens führt immer wieder zu Streit mit der gegnerischen Versicherung. Es wird argumentiert, der Ersatz-PKW nur hätte 5 statt 9 Tagen angemietet werden dürfen. Und schon sind wieder 300 Euro Ihres Schadenersatzes weg! Oder der Einwand, dass man den Ersatzwagen viel zu teuer angemietet hat, kommt ebenfalls regelmäßig und wieder hat die gegnerische Versicherung ein Argument Ihnen 500 Euro bei der Schlusszahlung abzuziehen.
Deshalb, auch bei Klärung einzelner Schadenpositionen, ist der Experte und nicht Halbwissen gefragt.
Zweiter Schritt ist folglich, alle infrage kommenden Schadenpositionen zu klären.
Zuletzt möchte ich Ihnen noch verdeutlichen, dass sich die Kosten für die Einschaltung eines Rechtsanwalts oder einer Rechtsanwältin in vernünftigem Rahmen halten lassen.
Die Kosten berechnen sich nach dem sog. Gegenstands- oder Streitwert. Dieser wiederum ergibt sich aus der Forderung des Mandanten, also Ihrer Forderung. Wenn Sie also die Auffassung vertreten, dass Sie keine Schuld an dem Verkehrsunfall (VU) trifft, die Gegenseite zu 100 Prozent haftet und Sie davon ausgehen, dass Ihr gesamter Schaden 10.000 Euro beträgt, ist dies der Streitwert. Ergibt sich beispielsweise nach der Beratung mit Ihrem Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin, dass Sie Schadenpositionen vergessen oder gar nicht erkannt haben und wollen auch diese geltend machen, erhöht sich der Streitwert um diese Positionen. Maßgeblich ist nämlich nicht nur, mit welcher Vorstellung des Schadens sie zu einem Kollegen am Anfang gehen, sondern was am Ende oder zwischenzeitlich maximal von Ihnen gefordert wird. Sagen wir, sie haben Schmerzensgeld für sich vergessen und auch nicht an Nutzungsausfall für Ihr beschädigtes Fahrzeug gedacht, zusammen 2.500 Euro. Dann beträgt der Streitwert inzwischen 12.500 Euro.
Bei diesem Streitwert beträgt die meist angewendete 1,3 Geschäftsgebühr eines Rechtsanwalts € 865,80 zuzüglich € 20,- Postgebührenpauschale zuzüglich Umsatzsteuer = € 1.054,10. Ein dicker Brocken werden vielleicht viele sagen. ABER!
Bei Verkehrsunfällen können Sie wegen der komplizierten Materie, außer die Sache ist, wie fast nie, glasklar, praktisch immer einen großen Teil ihrer Anwaltskosten erstattet verlangen. Sie erhalten also in den allermeisten Fällen auch ohne eine Rechtsschutzversicherung oder Verzug der Gegenseite einen großen, erheblichen Teil Ihrer Rechtsanwaltskosten erstattet.
Damit dies deutlicher wird, ein Beispiel:
Wie oben bereits erwähnt, fordern Sie im Rahmen der vollen Haftung der Gegenseite von der Versicherung Ihres Unfallgegners € 12.500,-.
Die Frage, ob die Betriebsgefahr hier ausnahmsweise zurücktritt, ist strittig und Ihr Rechtsanwalt einigt sich für Sie mit der gegnerischen Versicherung darauf, dass diese 85 Prozent aller berechtigten Schadenspositionen erstattet. Diese Einigung löst neben der Geschäftsgebühr auch eine 1,5 Einigungsgebühr aus.
Damit schulden Sie Ihrem Rechtsanwalt für die komplette Unfallabwicklung nun ca. 2.250 Euro. Bitte weiterlesen, denn das sind am Ende nicht Ihre Kosten!
Sie einigen sich aber auch zur Höhe darauf, dass die Versicherung insgesamt 11.500 Euro an Sie zahlt. Viele gegnerische Versicherer zahlen dann aufgrund ständiger Übung auf Basis dieser Zahlung eine pauschale 1,8 Geschäftsgebühr als Erstattung (mehr ist u.U. auch möglich) für Ihre RA-Kosten. Bei einem Streitwert von 11.500 Euro und einer angenommenen 1,8 Gebühr erstattet die Versicherung dann 1.450,37 Euro Ihrer Rechtsanwaltskosten. Für Sie verbleiben damit eigene Kosten i.H.v. 799,63 Euro. Für manchen Mitbürger immer noch viel Geld. Aber Sie sollten bei dem Beispiel auch bedenken, dass Sie anfangs Schadenpositionen vergessen und nur 10.000 Euro Schaden gesehen hatten. Nun bekommen Sie effektiv 10.700,37 Euro (11.500 abzüglich 799,63 Euro restl. Anwaltskosten). Sie wollen wegen dieser Kosten von 799,63 Euro nicht zum Rechtsanwalt gehen, obwohl sie 700 Euro mehr bekommen, als anfangs von Ihnen gedacht? Okay, aber ohne Ihren Rechtsanwalt oder Ihre Rechtsanwältin hätte Ihnen die Versicherung bestimmt 25 Prozent Betriebsgefahr abgezogen (und nicht wie hier im Beispiel 15%). Und ausgehend von ihrer ersten Forderung i.H.v. 10.000 Euro hätten Sie dann ohne Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin „nur“ 7.500 Euro erstattet bekommen. Zudem dürften Sie Ihrer Werkstatt bei vollständiger Reparatur noch 2.500 Euro aus eigener Tasche überweisen. Und dann kommt noch der Bericht des NDR ins Spiel. Welche Positionen Ihres Gutachters hätte man einfach gekürzt oder gestrichen, sodass Ihr errechneter Schaden vor Abzug Ihres 25-Prozent-Anteils erst einmal auf 7.000 Euro eingekürzt worden wäre? Wer sich jetzt immer noch den ganzen Papierkram inkl. erheblichen Zeitaufwand selbst antun möchte, bitte sehr. Ich schätze, dass dann ca. 80 bis 90 Prozent dieser „Selbstabwickler“ Geld in erheblichem Umfang verlieren.
Das Resümee ist jedenfalls, dass Sie am Ende, ohne selbst arbeiten zu müssen, mehr Geld erhalten, als wenn Sie den Unfall allein abgewickelt hätten. Dies auch bei Berücksichtigung der verbleibenden Rechtsanwaltskosten.
Also, bleiben Sie mir trotz aller Offenheit in diesem Bericht gewogen und vertragen Sie sich! 😉
Ihr Ralf Beckmann
1) Hier noch einmal der Link zum Beitrag des NDR:
https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL25kci5kZS80ZmRiZDJkOC0xNTJlLTQyNmEtOTQyYy1iMWZiM2Q0ZmY1YzI
2) Beispielfoto mit Dank an Foto von Clark Van Der Beken auf Unsplash
https://unsplash.com/de/fotos/CSkriQWeTVs
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