Kategorie: Prozessrecht

Recht haben und Recht bekommen, sind das wirklich zwei verschiedene Paar Schuhe?

Diesen Satz, der hier die Überschrift bildet, habe ich so oder so ähnlich schon tausendmal gehört. Aber stimmt das? Sind das wirklich zwei verschiedene Dinge? Meist hört man diesen Satz von Menschen, die mit dem Recht, besser, mit der Rechtsprechung schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht haben. Aber hat da wirklich das System versagt in dem Sinne, dass es Ihnen hätte helfen müssen, es aber einfach nicht getan hat? Ich glaube nein. Überwiegend liegt es an fehlenden Beweisen, und das verstehen viele Menschen nicht. Deshalb heute dieser Artikel, der sich um die Beweise dreht.

Angeregt zu diesem Artikel hat mich das Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg (Urteil. v. 07.02.2024, Az.: 5 U 33/23). Darin geht es um die sog. Beweislastumkehr. Ein Patient wurde verspätet richtig behandelt und nun musste nach dem Willen der OLG-Richter der Behandler (Arzt) beweisen, dass sein Fehler nicht ursächlich für den Schaden des Patienten war. Eine ähnliche Problematik tritt auch bei sog. Impfschäden, hauptsächlich in der Corona-Krise, auf. Der Patient sagt, ich war kerngesund und nach der Impfung bin ich plötzlich dauerhaft krank, behindert oder eingeschränkt. Dann wird schnell das Schwert des angeblich fehlenden Ursachenzusammenhangs mit der Impfung gezogen. Damit wir diese verstehen, müssen wir aber zunächst einmal die Regeln der Beweise und der Beweislast kennen.

Die Möglichkeiten der Beweisführung

Für Beweise und diese zu führen, gibt es im Zivilprozessrecht feste Regeln. Die Regel lautet »SAPUZ«. »SAPUZ« ist nichts weiter als die fünf Arten der Beweisführung. Entweder ein Sachverständiger „S“ kann Ihren Vortrag bestätigen, oder der richterliche Augenschein „A“. „P“ bedeutet Parteivernehmung (also Sie selbst werden zu Ihrer eigenen Behauptung vom Gericht vernommen). „U“ steht für den sog. Urkundenbeweis. Das ist nebenbei bemerkt das sicherste Beweismittel in einem Zivilprozess. „Z“ steht für den Zeugenbeweis, was m. E. das unsicherste Beweismittel im Verfahren ist. Mehr Möglichkeiten haben Sie nicht.

In diesem Zusammenhang noch ein Tipp: Heutzutage hat jeder ein Smartphone in der Tasche. Natürlich ist es verboten, heimlich das gesprochene Wort aufzunehmen. Das ist sogar strafbar. Aber, wenn sie Ihren Freund Volker 500 EUR leihen, wieso nicht eine Tonaufnahme oder ein kurzes Video, in dem sich Volker zunächst mit der Aufzeichnung einverstanden erklärt und dann kurz bestätigt, ja, heute am 05.03.2021 hat mir G soeben 500 EUR geliehen? Dann stehen Sie später vor Gericht nicht ohne Beweismittel da! Und wenn Sie nun fragen, wie passt das Video mit Volkers Geständnis in die Reihe der Beweismittel »SAPUZ«? Ganz einfach, richterlicher Augenschein (=A), indem Sie dem Richter das Video vorspielen! Wenn Volker dann gleich am Anfang des Videos erklärt, dass er mit der Aufzeichnung als Video inkl. Ton einverstanden ist, wird kein Richter ein Problem mit einem derartigen Video und dem Ansehen desselben im Rahmen des richterlichen Augenscheins haben. Wenn Sie dagegen ein heimlich mitgeschnittenes Gespräch oder Telefonat präsentieren, wundern Sie sich bitte nicht, wenn es niemand hören will.

Die Beweislast im Zivilprozess

Die erste und einfachste Regel im Zivilprozess ist, dass jede Partei, also egal ob Kläger oder Beklagter, die ihm günstigen und von ihm behaupteten Tatsachen im Zweifel auch beweisen muss. Man muss also zunächst wissen oder klären, wer muss eigentlich etwas beweisen. Sie verklagen Ihren besten Ex-Freund Volker, weil dieser die ihm geliehenen 500 EUR nicht zurückzahlt? Dann sind Sie und Volker Kläger und Beklagter in einem Zivilprozess. Wenn Sie in diesem Verfahren vortragen (= behaupten), dass Sie Volker am 5. März 2021 500 EUR geliehen haben, er diesen den Betrag binnen 1 Woche zurückzahlen sollte, dies aber nicht getan hat, dann ordnen Juristen ein derartiges Vorbringen rechtlich als Darlehensvertrag ein. Wenn Volker nun behauptet, dass das niemals passiert sei? Dann müssen Sie Ihre Behauptungen beweisen. Damit haben Sie die sog. Beweislast. Nicht Volker muss beweisen, dass er kein Geld bekommen hat, sondern Sie müssen den Abschluss des Darlehensvertrags inkl. der Geldübergabe an Volker beweisen. Weil sowohl die Behauptung, einen Darlehensvertrag geschlossen zu haben, als auch die Übergabe des Darlehensbetrags (500 EUR), sind Tatsachen, die Sie behaupten und für Sie günstig sind. Denn wenn Sie diese Tatsachen beweisen, werden Sie den Prozess gewinnen. Folglich tragen Sie für diese Tatsachen die Beweislast.

Die Umkehr der Beweislast

Oben habe ich erläutert, dass die Grundregel zur Beweiserhebung ist, dass derjenige, dem seine Behauptung günstig ist, diese Behauptung auch beweisen muss. Wie zu jeder Regel gibt es Ausnahmen. In diesem Fall jedoch eine eher seltene Ausnahme. Dabei handelt es sich um die Umkehr der Beweislast. Für die seltene Ausnahme hatte ich oben das Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg angeführt. Damit Sie überhaupt ein Gefühl für die seltene Anwendung dieser Ausnahme bekommen: Stellen Sie sich einfach 10 Fälle vor, bei denen Sie von der Anwendung der Umkehr der Beweislast ausgehen. Bestenfalls in einem Fall wird es tatsächlich so sein. Warum ist das so? Die Regel besagt ja, dass in unserem Beispielfall der Kläger beweisen muss, dass er seinem Ex-Freund Volker ein Darlehen und in Erfüllung dessen 500 EUR gegeben hat. Von dieser Regel kann das Gericht nicht abweichen, wenn Sie argumentieren, dass Sie mit Volker in einer Ihnen beiden zuvor völlig unbekannten Gaststätte waren. Volker habe dann gemerkt, dass er seine Geldbörse zu Hause vergessen hat. Wem also sonst, als Volker, sollen Sie 500 EUR gegeben haben? Menschen, die ansonsten in der Gaststätte waren und die weder Sie noch Volker kannten? Ein derartiges Verhalten wäre unsinnig, oder?
So in etwa denken die meisten juristische Laien. Der Richter muss aber, wenn Volker den Erhalt von 500 EUR bestreitet, auch von anderen möglichen Varianten ausgehen. Sie könnten etwa lügen oder die 500 EUR verloren haben. Oder sie sind Ihnen gestohlen worden und deshalb schieben Sie Volker die Sache in die Schuhe. Die Frage, welche andere Möglichkeit noch besteht, stellt sich für das Gericht aber nicht. Der Richter unterstellt Ihnen also nicht stillschweigend eine Lüge. Das Gericht stellt schlicht fest, dass die Übergabe von 500 EUR nicht die einzige Möglichkeit war, wie Sie Ihr Geld „verloren“ haben könnten. Es gibt andere Möglichkeiten und damit sind Sie raus, wie man so schön sagt. Aber weshalb hier nicht die Umkehr der Beweislast? Ganz einfach. Sie können nicht einmal beweisen, dass Ihnen wirklich alle anderen Besucher der Gaststätte unbekannt waren. Sie können genau genommen auch nicht beweisen, dass Ihnen 500 EUR fehlen. Erst wenn das feststeht, könnte man ja einen Schritt weiter denken und sich Ihrer Logik der Unsinnigkeit des Verteilens des Geldes an fremde Menschen zuwenden. Das Beispiel der Unsinnigkeit des Verteilens von Geld an einen fremden Menschen zeigt aber eines auf. Für das Gericht muss sich die Wahrscheinlichkeit, dass eine Tatsche so ist, wie Sie es vortragen, so wahrscheinlich zeigen, dass es üblicherweise keine andere Erklärung als die Ihrer Behauptung gibt. Hier gibt es aber zahlreiche andere Möglichkeiten. Ihre Möglichkeit muss so sicher sein, dass bei vernünftiger Betrachtung keine andere Möglichkeit bleibt. Und zwar objektiv und nicht, weil Sie sich das für den Gewinn Ihres Prozesses wünschen.
Jeder weiß, echten Zauber gibt es nicht. Warum sind dennoch alle perplex, wenn plötzlich der riesige und schwere Elefant nicht mehr auf der Bühne steht? Weil man die fehlende Existenz von Zauber in dem Moment vergisst. Am Ende des Tages muss der Richter nur konstatieren, es gibt keinen Zauber. Das ist wissenschaftlich belegt. Warum es nun den Anschein hat, der Elefant sei von der Bühne herunter, ist unwichtig. Vielleicht war nie ein Elefant auf der Bühne, vielleicht war er noch da, als alle dachten, er sei weg. Erst wenn jegliche Logik gebietet, dass es eigentlich nur noch eine Variante als Lösung gibt, nämlich diejenige, die Sie dem Gericht präsentieren, dann kann es zur Umkehr der Beweislast kommen. Dann müsste eben Volker als Beklagter beweisen, dass er das Geld nicht bekommen hat. Oder im Beispielurteil des OLG Oldenburg eben der fehlerhaft arbeitende Arzt, dass sein Fehler nicht ursächlich für den Schaden am Patienten war.

Am Ende ist entscheidend, dass es aus vernünftiger, objektiver Sicht geradezu zwingend ist, dass eine Ursache oder eine Tatsache so ist, wie Sie es vorgetragen haben, und keine andere Möglichkeit in Betracht kommt.

Resumee

Sie sollten die Beweislastregel, wie oben erläutert, beachten und sicherstellen, dass Beweise »SAPUZ« für Sie vorhanden sind. Bauen Sie nicht zu sehr auf die Anwendung der Umkehr der Beweislast. Das passiert relativ selten in Prozessen. Verlassen Sie sich nicht zu sehr auf Zeugen. Diese sind m. E. das schlechteste Beweismittel. Besser etwas auf die Rückseite eines Kassenzettels gekritzelt (ja, das kann eine Urkunde sein), als auf das schlechte Gedächtnis eines Zeugen zu setzen.
Und zum Schluss, wenn Sie wenig oder gar keine Beweise haben, holen Sie sich fundierten, juristischen Rat. Sorry, den finden Sie nicht auf einer Party beim Sohn des Nachbarn, der im zweiten Semester Jura studiert. Je weniger Sie in der Hand haben, desto eher ist ein gewitzter und erfahrener Anwalt notwendig. Von der Frage, ob ich etwas auch im Zweifel beweisen kann, hängt meistens der Ausgang eines Prozesses ab. Nicht, ob der Richter Ihnen das Darlehen für Volker glaubt. Ein Richter kann Ihnen im Zivilprozess noch so sehr glauben und die Ahnung haben, dass Volker dreist lügt. Wenn Sie den Abschluss des Darlehens nicht beweisen können, wird er die Klage abweisen und Sie haben verloren. Das liegt dann aber ausschließlich an Ihrer Gutmütigkeit bei der Hingabe des Darlehens und nicht an unserem Rechtssystem. Deshalb, wenn recht haben und recht bekommen auseinanderklaffen, haben Sie vorher einen Fehler gemacht. Es gibt eine alte Juristenregel. Wer bürgt, muss zahlen. Beim Beispiel mit Volker sollte man sagen, wer ohne Beweise Geld verleiht, kann es auch gleich verschenken.

Bleiben Sie mir gewogen!

Ralf Beckmann

Sie finden, das Gericht hat sich nicht mit Ihren Argumenten auseinandergesetzt? Dann sollten Sie dieses Urteil kennen!

Das kommt immer wieder vor. Sie argumentieren und wenn Sie das Urteil des Gerichts lesen, denken Sie, dass das Gericht Sie überhaupt nicht gehört hat. Oder, in einem Verfahren vor dem Amtsgericht wird das sog. vereinfachte Verfahren gem. §495a ZPO angeordnet. D.h., dass das Gericht nunmehr nach billigem Ermessen urteilen kann. Aber eben nicht ohne mündliche Verhandlung, wenn eine Partei dies ausdrücklich beantragt, s. § 495a Satz 2 ZPO. Einen solchen Antrag zu übergehen, verletzt nämlich das Recht auf rechtliches Gehör, welches laut dem Bundesverfassungsgericht gem. Art. 103 Abs. 1 GG grundrechtsgleich geschützt ist; s. Urteil des BVerfG vom 01.07.2020 hier.

Deshalb mein Rat: wenn Sie den Eindruck haben, dass Tatsachen, die für Sie wichtig waren, nicht berücksichtigt wurden oder man Ihnen keine Gelegenheit zur Stellungnahme gibt, sofern überraschende Wendungen eintreten, sollten Sie sich mit Ihrem Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin beraten, ob zunächst ein Rechtsmittel u.a. mit der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs erfolgversprechend ist. Derartige Einwände werden meiner Erfahrung nach viel zu selten vorgebracht, obwohl sie sicher häufiger, als man denkt, vorliegen. Und derartige Einwände sind, wie das Urteil des BVerfG zeigt, ein scharfes Schwert. Denn die überwiegende Anzahl von Verfassungsbeschwerden werden gar nicht erst zugelassen oder zurückgewiesen. Das Aufzeigen von eklatanten Fehlern im Prozessrecht aber, haben eine gute Aussicht auf Erfolg, wie das oben zitierte Urteil zeigt.

Aber, einfach durchstarten und direkt das Bundesverfassungsgericht anrufen, geht nur in wenigen Ausnahmen. Zunächst müssen Sie sich durch die möglichen Instanzen kämpfen. Sie müssen also schon eine gewisse Portion Durchhaltewillen zeigen und Vertrauen in Ihre Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt haben.

Bleiben Sie mir gewogen!

Ralf Beckmann – 11.06.2024

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