Kategorie: Schadensersatzrecht (Seite 2 von 2)

Die Beschränkung der Nutzungsdauer von mobilen „Briefmarken“ = Portocode ist unzulässig

Vorbemerkungen
Viele Verbraucher nutzen das Internet. Oftmals ist dies auch bei Dienstleistungen und Käufen eine gute, weil einfache und schnelle Sache. Die Post hat aber die Nutzung von Codes als Ersatz für die analoge Briefmarke übertrieben und nun eine empfindliche Niederlage kassiert.

Urteil des Oberlandesgerichts Köln
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen aus Berlin teilt in einer Pressemitteilung vom 14.06.2023 mit, dass das Oberlandesgericht (OLG) Köln im Sinne des klagenden Bundesverbandes gegen die Post entschieden habe.

Die Post hatte in ihren AGB verankert, dass der mittels App anstelle einer analogen Briefmarke erworbene sog. Portocode nach 14 Tagen verfällt.

Das OLG hat jetzt entschieden, dass eine derartige Klausel Verbraucher benachteiligt und deshalb unwirksam sei. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen teilt dazu mit:

„Das OLG Köln hat zu Recht die viel zu knappe Gültigkeitsbefristung der mobilen Briefmarken von 14 Tagen kassiert. Es gibt vielfältige Gründe, wieso die Briefmarke nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist genutzt wird. Dass Verbraucher:innen dann nicht einmal das gezahlte Geld für die digital erworbene Briefmarke zurückfordern konnten, war nicht tragbar.“

Das OLG Köln teilt dazu ebenfalls in seiner eigenen Pressemitteilung mit:
„Die Unangemessenheit der angegriffenen Klausel folge zudem daraus, dass bei Nichtnutzung der „mobilen Briefmarke“ innerhalb der gesetzten Gültigkeitsdauer der ersatzlose Entzug des Anspruchs auf Beförderung der Briefe/Postkarten folge.“
Denn die spannende Frage war, ob eine Verkürzung der Gültigkeitsdauer auf lediglich 14 Tagen bei vollständigem Verlust der Ansprüche die Verbraucher unangemessen benachteiligt. Dies hatte das OLG in seinem Berufungsurteil bejaht, weil das Leitbild die Verjährungsfrist von 3 Jahren sei. Eine Verkürzung sei denkbar, aber eben nicht auf nur noch 1% der Verjährungsfrist. Hierfür hatte das OLG keine Notwendigkeit gesehen.


Was bedeutet das Urteil und wie geht es weiter?
Jetzt wird sich jeder Kunde, der in letzter Zeit solch einen mobilen Portocode geholt, aber nicht innerhalb der Frist  genutzt hat, einen neuen Code holen können oder gegebenenfalls „Geld zurück“ fordern dürfen. Allerdings dürfte die Post bei einem millionenfach in Anspruch genommenen Verfahren via Internet schwertun, allen Verbrauchern, die sich innerhalb der nächsten Monate melden, zeitnah ihr Geld zu erstatten oder einen neuen Code zur Verfügung zu stellen. Es bleibt also spannend, wie die Post eine derartige Lawine bewältigen will.

Andererseits wird es auch darauf ankommen, wie die Post generell mit Urteil des OLG Köln umgeht. Dieses hat zwar mitgeteilt, dass die Revision nicht zugelassen wurde. Allerdings kann die Post das Urteil dennoch mit einer Nicht-Zulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) die Sache in der Schwebe halten und sich zwischenzeitlich gegenüber Verbrauchern darauf berufen, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.

Ich würde dennoch allen betroffenen Verbrauchern anraten, ihre Ansprüche auf Rückzahlung, alternativ auf Zurverfügungstellung eines neuen Portocodes gegenüber der Post beweiskräftig anzumelden, um dann zu verfolgen, wie sich die Sache weiterentwickelt. Vielleicht hat die Post ja aber auch ein Einsehen und erstattet einfach das Geld. Auch so ein kulantes Verhalten soll ja schon vorgekommen sein.

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Ihr Ralf Beckmann

Das Beispiel-Foto wurde mit Dank von Markus Spiske auf Unsplash zur Verfügung gestellt.

Ihr Kind möchte in die Kita – Der Kita-Platz wird Ihnen verweigert? Was kann man tun?

Vorbemerkungen
Viele Eltern kennen das. Alle reden von Kinderförderung, Entlastung der Eltern usw. Wenn es aber ernst wird, kommt oft eine Ausrede: „Wir haben einfach keinen Platz für Sie und Ihr Kind!“ Kann dieser Einwand als Argument durchgehen? Lesen Sie die nachfolgenden Hinweise.

Urteil des Verwaltungsgerichts Münster
Erneut aufmerksam wurde ich wieder auf die Problematik, durch eine nette Nachbarin, die meiner Frau davon erzählte, dass man für den Jüngsten keinen Kita-Platz bekommen habe. Zudem wurde ich dann auf ein Urteil, besser einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster aufmerksam.

Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster – Pressemitteilung

Das Verwaltungsgericht Münster hat in einem Eilverfahren entschieden:

„Stadt Münster muss trotz fehlender Kapazitäten Kita- oder Tagespflegeplatz nachweisen (09.06.2023)“

Das Hauptargument war, dass die Stadt sich gerade nicht auf Unmöglichkeit berufen kann. Also, wir haben einfach keinen Platz, zählt nicht! Es ist nämlich nicht Sache der Eltern einen Platz zu schaffen. Vielmehr hat der Gesetzgeber dem Kind einen vorbehaltlosen Anspruch auf einen Kita-Platz zugebilligt. Dieser Anspruch würde ins Leere laufen, wenn das Argument „wir haben keinen Platz“ zählen würde.

Nebenher hat das Gericht darauf hingewiesen, dass der Platz sich in 30 Minuten Entfernung zum Wohnort der klagenden Eltern befinden müsse.

Ergänzend weise ich darauf hin, dass es sich um ein Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht handelt. Dennoch hat das Gericht der Stadt Münster im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben,  „einem unter dreijährigen Kind ab dem 1. August 2023 einen Betreuungsplatz zur frühkindlichen Förderung mit dem Umfang von 45 Stunden wöchentlich in einer Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflegestelle zur Verfügung zu stellen, der in nicht mehr als 30 Minuten von der Wohnung des Kindes erreichbar ist.“

Der Beschluss des Gerichts ist noch nicht rechtskräftig.


Und was tue ich, wenn mir der Kita-Platz für mein Kind verweigert wird?
Ich kann in Kenntnis des Urteils den Eltern ohne Kita-Platz nur dringend raten, auch Rechtsmittel gegen Ihre Stadt oder Gemeinde in Erwägung zu ziehen, sofern man ihren Kindern den Kita-Platz verweigert. Die Lage ist auch nach diesem Urteil, bzw. Beschluss keineswegs hoffnungslos. Holen Sie sich auf jeden Fall fachkundigen Rat bei einer Rechtsanwältin oder einem Rechtsanwalt. Denn alternativ stehen gegebenenfalls auch die Möglichkeiten einer selbst gesuchten Tagesmutter oder Schadenersatzansprüche gegen die Stadt/Gemeinde im Raum.

Man kann oder muss deshalb sogar sagen, liebe Eltern, Sie haben Rechte!

Einen sehr informativen Artikel zum Thema „Rechtsanspruch auf Kita-Platz“ habe ich auf „Kita.de“ gefunden. Ich verlinke den Artikel ganz unten.

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Ihr Ralf Beckmann

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Artikel auf Kita.de zum Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz

Baustelle, Eltern haften für Ihre Kinder! Stimmt das? Ein Beispiel aus der Rechtsprechung: OLG Oldenburg, Pressemitteilung vom 22.05.2023

Vorbemerkungen
Häufig sieht man auf bzw. am Eingang zu Baustellen Schilder mit sinngemäß folgendem Text: „Achtung Baustelle – Eltern haften für Ihre Kinder“

Als Volljurist und ehemaliger Rechtsanwalt mit langer Prozesserfahrung im Schadenersatzrecht muss man da zumeist etwas schmunzeln. Warum, weil diese Hinweise niemanden binden und das Baustellenschild nur selten und dann nur halb zutreffend ist.


Warum haften Eltern für Ihre Kinder – Haften Kinder nicht selbst?
Zunächst einmal zu den Kindern. § 828 BGB legt fest, dass Kinder, das Gesetz sagt hier Minderjährige, bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres überhaupt nicht haften; § 828 Abs. 1 BGB.

§ 828 Abs. 2 BGB legt fest, dass ein Kind mit vollendetem 7. Lebensjahr, das aber noch nicht das 10. Lebensjahr vollendet hat, für den Schaden, den es einem anderen zufügt, nicht haftet, wenn dies im Zusammenhang mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienen- oder Schwebebahn steht. Ausnahme, dass Kind begeht die Tat vorsätzlich!

Und Abs. 3 von § 828 BGB bestimmt, dass alle anderen Minderjährigen (also bei Tatbegehung oder zum Unfallzeitpunkt unter 18-jährigen), deren Haftung nicht nach Abs. 1 oder 2 ausgeschlossen ist, nur haften, wenn er oder sie bei Begehung des Schadens die erforderliche Einsichtsfähigkeit hatten. Oder umgekehrt ausgedrückt: Minderjährige, die bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatten, haften nicht.

Damit ist zunächst einmal klar, dass ein Kind, so nenne ich die Minderjährigen jetzt hier der Einfachheit halber, nur beim Erreichen eines bestimmten Alters haften.
Anders ausgedrückt sagt § 828 BGB, dass Kinder unter sieben Jahren nie haften! Steht die Schädigung im Zusammenhang mit einem Kfz, Schienen- oder Schwebebahn, wird die Haftungsfreistellung bis zum vollendeten 10. Lebensjahr angehoben, sofern kein Vorsatz vorliegt. Ansonsten haften alle Kinder ab dem vollendeten 7. Lebensjahr, wenn sie die bei Begehung der schädigenden Handlung erforderliche Einsicht zur Verantwortlichkeit hatten.
Hierzu ein Beispiel: Einem 14-jährigen, der mit Pfeil und Bogen in einem öffentlichen, belebten Park Schießübungen macht und dabei einen Passanten verletzt, wird man in aller Regel die Einsichtsfähigkeit in sein gefährliches Tun unterstellen dürfen. Also haftet dieses Kind oder Jugendliche persönlich.

Nun kommt das große ABER in Form von § 832 BGB. Denn beispielsweise die Eltern können für die Verletzung der sog. Aufsichtspflicht haften. Haftet das Kind aus einem der o.g. Gründe wegen § 828 BGB nicht, kann der Geschädigte von den Eltern als „Aufsichtspflichtigen“ Schadenersatz verlangen. Ob jetzt die Eltern haften, wenn der 6-jährige mit einem Nagel die Autotür des Nachbarn zerkratzt, hängt vom Einzelfall ab. Jedenfalls müssen sich die Eltern dann entlasten. Also nachweisen, wie Sie die Aufsicht über den Sohnemann geführt haben. Hier sollten Sie sich im Fall der Fälle auf jeden Fall anwaltlich beraten lassen, denn jeder Fall liegt anders.  Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn der Sohnemann zuvor schon dreimal mit einem Nagel an den Autotüren anderer Nachbarn hantiert hat, wird es extrem schwer nachzuweisen, dass man seiner Aufsichtspflicht nachgekommen ist.


Und das OLG Oldenburg?
Das hatte den Fall einer Großmutter zu verhandeln, die von Ihrem 2½-jährigem Enkel mit dem PKW der Mutter angefahren und verletzt wurde. Wie war das möglich? Die Mutter setzte den Sohn in den Kindersitz auf dem Beifahrersitz, schnallte ihn aber noch nicht an. Den Autoschlüssel hatte sie auf das Armaturenbrett gelegt. Der Filou krabbelte aus dem Kindersitz, steckte den Schlüssel in das Schloss und startete den Wagen. Dieser machte einen Satz nach vorn und verletzte die Großmutter. Die Krankenkasse und nicht die Großmutter verlangte nun von der Mutter wegen der Verletzung der Aufsichtspflicht die ärztlichen Behandlungskosten für die Großmutter erstattet.

Wir wissen bereits, der kleine Mann ist nicht deliktsfähig und haftet nicht für seine Tat, weil unter sieben Jahren alt. Aber hatte die Mutter der Aufsichtspflicht genügt? Das Landgericht hatte die Klage noch abgewiesen, weil die sog. Kausalkette derart ungewöhnlich und unvorhersehbar war, dass die Mutter nicht mit einer Verletzung der Großmutter rechnen musste. Das OLG sah dies anders. Kleinkinder bedürften der ständigen Aufsicht, meinte das OLG. Erfahrungsgemäß griffen Kinder zu umherliegenden Gegenständen wie Schlüsseln und versuchten sie dann in Schlösser zu stecken. Also, hätte die Mutter das Kind anschnallen und die Fahrzeugschlüssel mitnehmen müssen. Andernfalls hätte sie die Aufsicht einer anderen Person (die Großmutter?) übertragen müssen.
Ich sehe die Argumente des OLG eher kritisch. Einfach mal so in den Raum stellen, dass 2½-jährige Kinder nach Schlüsseln greifen und diese dann zielsicher in das Schloss des Fahrzeugs stecken? Aber musste man damit rechnen? Ich denke dann andererseits, wer Kinder hat weiß, dass man mit allem Blödsinn dieser Welt rechnen muss. Also, die Mutter hat vielleicht ein Ding zu viel falsch gemacht. Das Kind nicht angeschnallt, keine Aufsicht und dann noch die Schlüssel im PKW zurückgelassen? Wie man sieht, kann man es wohl so oder so sehen. Denn das OLG war die Berufungsinstanz. Das Landgericht hatte die Klage der Krankenkasse zuvor noch abgewiesen.

Aber, aus dem Fall wird die finanzielle Gefahr für die Mutter deutlich. Es reicht eben nicht, wenn verletzte Mutter/Großmutter sich sagt, ich verklage  doch nicht meine eigene Familie. Denn die Ansprüche der Mutter/Großmutter wegen der ärztlichen Behandlungskosten gehen kraft Gesetzes auf die Krankenkasse über. Die Großmutter mag ihren Enkel und die Tochter vielleicht nicht verklagen. Die Krankenkasse hat da weniger Mitleid.

Deshalb sollten wir stets gut auf die kleinen Racker achtgeben. Wo kein Schaden, da kein Kläger!
Und zu guter Letzt wissen wir auch noch, „Eltern haften für Ihre Kinder“ gilt nur manchmal. Das Baustellenschild hat also nur zeitweilig recht. 

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Ihr Ralf Beckmann

OLG Oldenburg, die Pressemitteilung vom 22.05.2023

Das Beispiel-Foto wurde mit Dank an Silvia Brazzoduro zur Verfügung gestellt auf Unsplash.com

Pressemitteilung Landgericht Frankfurt – Klage gegen Impfstoffhersteller

05.04.2023 Landgericht Frankfurt am Main Pressemitteilung

Das Landgericht Frankfurt teilt in einer Presseerklärung vom 05.04.2023 mit, dass eine Privatperson in einem Zivilprozess gegen den Hersteller eines Impfstoffes gegen das SARS-CoV-2-Virus klagt. Die Klägerin behauptet, sie habe durch die Verabreichung des Vakzins einen Herzschaden erlitten. Außerdem leide sie seit der Impfung an Leistungseinbußen und Konzentrationsstörungen. Das Aktenzeichen des Landgerichts Frankfurt in diesem Verfahren lautet: 2-12 O 264/22.

Das Landgericht hat den Termin zur mündlichen Verhandlung für

Freitag, den 07. Juli 2023, 10 Uhr,

angesetzt. Nach Mitteilung des Gerichts sind keine Zeuginnen oder Zeugen geladen worden. Die zuvor bestimmten Termine am 15. März 2023 und 28. April 2023 wurden aufgehoben. Wie das Landgericht weiter mitteilt, ist am nunmehr angesetzten Verhandlungstag noch nicht mit einem Urteil zu rechnen.

Eigene Anmerkungen:

Sofern es sich bei dem Termin am 7. Juli um den ersten Termin zur mündlichen Verhandlung handelt, ist völlig normal, dass noch kein Urteil zu erwarten ist. Nach meiner Erfahrung wird der beklagte Hersteller naturgemäß das Vorhandensein eines Herzschadens und die Leistungseinbußen und Konzentrationsstörungen der Klägerin bestreiten. Diese wird in dem weiteren Verlauf des Verfahrens zunächst diese Einschränkungen gesundheitlicher Art beweisen müssen. Dies geschieht vermutlich und wie üblich mittels eines Sachverständigengutachtens. Der beklagte Hersteller wird aber auch einen kausalen Zusammenhang zwischen den gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin und der Verabreichung des Vakzins bestreiten. An dieser Stelle wird es dann für den informierten Juristen spannend. Sieht das Gericht die volle Beweislast für diesen Zusammenhang bei der Klägerin, oder lässt es gelten, dass nur erste Beweise oder Beweisanzeichen durch die Klägerin zu erbringen sind und es dann Sache des Beklagten Herstellers ist, diese ersten Vermutungen zu widerlegen? Im ersten Fall müsste ein Sachverständiger zur Überzeugung des Gerichts darlegen und bestätigen, dass die Klägerin die behaupteten gesundheitlichen Einschränkungen hat, diese vor der Verabreichung des Vakzins frei von diesen Einschränkungen war und ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Verabreichung des Vakzins und den Gesundheitsschäden besteht. Mithin, diese Gesundheitseinschränkungen auf das Vakzin zurückzuführen sind. Sollte das Gericht die volle Beweislast bei der Klägerin sehen, wird es für diese enorm schwer ein positives Urteil zu erstreiten.
Selbst wenn dies zugunsten der Klägerin geschehen sollte, ist m.E. mit der Einlegung der Berufung durch den beklagten Hersteller zu rechnen. Da muss man keine bösen Absichten dahinter vermuten. Nur, dürfte ein positives Urteil für die Klägerin im Falle der Rechtskraft derartige Signalwirkung ausstrahlen, dass der Hersteller gar nicht anders kann als alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen.

Ich werde versuchen, über den weiteren Verlauf des Verfahrens zu berichten.

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Ihr

Ralf Beckmann

Pressemitteilung des Landgerichts Frankfurt zur Klage gegen Impfstoffhersteller

Beispielfoto von Daniel Schludi auf Unsplash – Vielen Dank!

Bundesgerichtshof entscheidet: kein staatlicher Schadenersatz für Friseurgeschäfte anlässlich von Schließungen in der Corona-Pandemie (COVID-19-Pandemie)

Vorbemerkungen
Sie sind Friseur oder Friseurin und sind stolzer Besitzer eines eigenen Friseurgeschäfts oder arbeiten selbstständig als Friseur? Dann sollten Sie das neueste Urteil des Bundesgerichtshofs (kurz: BGH) vom 11.05.2023 – Az. III ZR 41/22 – kennen. Es verwehrt bzw. schließt staatlichen Schadenersatz für getroffene Maßnahmen nämlich konsequent aus.


Hintergrund des Urteils
Es geht um eine Frau, die einen Frisörsalon betreibt und zunächst wohl 9.000 Euro Soforthilfe vom Land bekam, die sie allerdings nun wohl zurückzahlen muss. Deshalb klagte sie auf Schadenersatz, weil ihr Geschäft vom 23. März bis zum 4. Mai 2020 geschlossen war. Mit ihrer Klage fordert sie insgesamt 8.000 Euro Schadenersatz vom beklagten Bundesland.

Da sie in den Vorinstanzen wohl scheiterte, gelangte der Fall zum Bundesgerichtshof.


Argumente des BGH
Leider ist der vollständige Text des Urteils noch nicht in der Datenbank des BGH abrufbar. Einige Einzelheiten aus der Argumentation des BGH sind aber bekannt geworden:

Grundsätzlich sollen Gewerbetreibende, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie durch eine rechtmäßig angeordnete Schutzmaßnahme, insbesondere die der Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder nach Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes, noch nach allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht und auch nicht kraft Richterrechts Anspruch auf Entschädigung haben.

Die sechswöchige Betriebsuntersagung für Frisöre sei auch unter Berücksichtigung von Art. 12 und 14 des Grundgesetzes verhältnismäßig gewesen.

Da die landesrechtlichen Regelungen den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und die Überlastung des Gesundheitssystems zum Ziel gehabt hätten, erfülle der Staat seine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bürger als legitimen Zweck.

Weiterhin taucht das Argument auf, dass die finanzielle Leistungspflicht des Staates begrenzt sei.


Und was heißt das für uns, die Bürger, die Gewerbetreibenden und die Friseure?
Natürlich sollte man, bevor man den ganz großen Hammer der Urteilsschelte hervorholt, wenigstens das Urteil einmal komplett gelesen haben. ABER! Wenn sich die o.g. und mehrfach in der Presse durchgesickerten Argumente bewahrheiten, gibt und wird es eine Menge zu dem Urteil zu sagen geben.

Dass Schadenersatz weder durch das Infektionsschutzgesetz, noch durch Polizei- und Ordnungsrecht, noch durch Richterrecht möglich sein soll, ist kein echtes Argument, sondern allenfalls eine richterliche Feststellung.

Das Argument, dass die landesrechtlichen Regelungen zur Betriebsschließung gerechtfertigt gewesen sein sollen, weil man damit die Gesundheit der Bürger (Bevölkerung) und das Gesundheitssystem vor Überlastung schützen wollte, sind ebenfalls zweifelhafte Argumente. Ich möchte die Bürger/Bevölkerung schützen und schon ist unter diesem Aspekt alles möglich? Da muss schon im Rahmen einer einwandfreien, juristischen Prüfung mehr hinzukommen, als der bloße Schutzgedanke des Gesetzgebers, bevor man überhaupt in eine verfassungsrechtliche Prüfung eintritt. Das heißt, sind zuvor erst einmal sinnvolle Maßnahmen bei genauerer Betrachtung in Ordnung? Hier und mit dem heutigen Wissen ist in dem Verfahren nicht nachgewiesen, dass Maßnahmen notwendig, oder dass sie angesichts der möglichen Gefahren auch verhältnismäßig waren.

Aus den vorgenannten Gründen sollten Gewerbetreibende, die Schadenersatz von ihrem jeweiligen Bundesland für Betriebsschließungen oder Betriebseinschränkungen wollen, jedenfalls ein prall gefülltes Portemonnaie mitbringen. Zunächst muss man sich durch zwei Instanzen kämpfen, die es sich mit dem Urteil des BGH im Rücken vermutlich leicht und einfach machen können und die Klage abweisen werden. Ob bei dem BGH dann ein Umdenken nach so kurzer Zeit einsetzt, ist ebenfalls nicht zu erwarten. Man sollte sich also darauf einstellen, dann zu guter Letzt auch noch das Bundesverfassungsgericht anrufen zu müssen. Nur, wenn man einen langen Atem hat, wird man diesen Weg gehen können oder wollen. Alle anderen sollten sich gut überlegen, ob sie Geld in einen Rechtsstreit investieren, der erheblichen persönlichen Einsatz und Geldmittel erfordert.

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Ihr Ralf Beckmann

Beispielfoto mit Dank an Markus Spiske auf Unsplash.com
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Was ist eigentlich die Betriebsgefahr? Und was bewirkt sie?

Spätestens wenn Sie mit Ihrem PKW einen Verkehrsunfall (VU) haben, werden Sie über diesen Begriff „stolpern“, die Betriebsgefahr. Bitte lassen Sie sich nicht von Menschen, die alles wissen und selbst schon mal einen VU hatten erklären, wie das einzuordnen ist. Lesen Sie es einfach hier nach.

Ergänzend gibt es auch noch einen weiteren Artikel von mir zu diesem Thema:
Betriebsgefahr – wann gilt sie und wann nicht?

Abstrakte Gefahr vs. Verschulden
Im deutschen Zivilrecht gibt es mehrere Haftungsmöglichkeiten. Wenn es sich nicht um einen Vertrag zwischen zwei Vertragspartnern handelt, kennen wir eigentlich nur die abstrakte Haftung als Gefährdungshaftung, der eine allgemeine Gefahr zugrunde liegt und die Haftung aus Verschulden. Dem Laien wird diese Unterscheidung herzlich egal sein, wenn sein Rechtsanwalt oder seine Rechtsanwältin anlässlich eines VU den vollen Schadenersatz für ihn durchsetzt. Um die Betriebsgefahr zu verstehen, muss man das aber etwas genauer betrachten.
Ein Beispiel für die Gefährdungshaftung ist die sog. Tiergefahr. § 833 BGB legt fest, dass der Halter des Tieres für Schäden haftet, die durch Verwirklichung der abstrakten Tiergefahr entstehen. Was viele nicht wissen ist, dass es dabei nicht auf ein „Verschulden“ des Halters ankommt. Sie kennen die allseits beliebten Flexi-Leinen? Sie haben die Leine arretiert und gehen links neben einem Fahrradweg. Der Hund zieht plötzlich nach rechts auf den Fahrradweg. Sie sind kräftig genug, um Ihren Hund sofort wieder auf den Fußweg zurückzuziehen. Ein entgegenkommender Fahrradfahrer meint, nicht mehr rechtzeitig vor dem auf dem Radweg stehenden Hund bremsen zu können, weicht aus und stürzt. Dabei verletzt er sich. Sie fühlen sich nicht schuldig am Unfall, denn objektiv haben sie den Hund so rechtzeitig wieder weggezogen, dass der Fahrradfahrer auch hätte weiterfahren können, ohne auszuweichen. Falsch! Auch wenn jetzt viele anders denken, Sie haften als Halter. Das Verhalten des Hundes ist eine von vielen Gefahren, die von ihm ausgehen, nämlich unkontrolliertes Loslaufen, in den Weg stellen, beißen usw. Der Fahrradfahrer wäre nicht gestürzt, wäre Ihr Hund nicht für kurze Zeit auf den Radweg gelaufen und hätte den Radfahrer zum Ausweichen veranlasst. Zu diesem Verhalten müssen Sie nichts beigetragen haben. Sie haften dennoch, weil es das Gesetz so will, wenn sich eine Tiergefahr verwirklicht hat.
Ähnlich ist es mit der Betriebsgefahr eines Fahrzeugs. Weil ein PKW grundsätzlich gefährlich ist, haften Sie mit dessen Betriebsgefahr, die zwischen 20 und 25 Prozent des eingetretenen Schadens (auch auf Ihrer Seite) liegt. Da gibt es zunächst einmal kein Entrinnen.

Betriebsgefahr – wann entfällt sie?
Meist wird in gerichtlichen Urteilen davon gesprochen, dass das Verschulden des Unfallverursachers sei derart groß ist und überwiege, dass die Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs dahinter zurücktrete. Mithin, sie haften überhaupt nicht und der Gegner zahlt Ihren Schaden zu 100 Prozent. Das hört sich reichlich „schwammig“ an und hilft Ihnen nicht weiter? Genau! Jungen Juristen, frisch aus der Uni in das echte Leben geworfen, geht es genauso.  Das ist einfach eine Standardformulierung, die sich für Richter gegen Angriffe in Berufungsverfahren bewährt hat. Wenn man dazu noch einen vernünftigen Bezug zu einer Tatsachenfeststellung in einem Verfahren …. Ja, jetzt wird es völlig unverständlich, ich weiß. ABER! Sie sollten sich vielleicht als Laie merken, dass die Betriebsgefahr absolut sicher nur in wenigen, denkbaren Situationen entfällt. Ein Beispiel: Sie stehen mit Ihrem Fahrzeug als Erster vor der roten Ampel und warten auf Grün. Plötzlich fährt ein unachtsamer Fahrer hinten auf Ihr Fahrzeug auf. Da können Sie noch so unbeholfen einen Unfallbericht an die Versicherung des auffahrenden Fahrzeugs schreiben. Mit vernünftigen Gründen wird man in einer solchen Situation nicht mehr einwenden können, dass die Betriebsgefahr Ihres Fahrzeugs zu berücksichtigen sei. Und wenn Sie von rechts kommend an einer Kreuzung gleichberechtigter Straßen von einem von links kommenden Fahrzeug in einen Unfall verwickelt werden? Hier ist höchste Vorsicht geboten. Warum?
Weil man immer einwenden kann, dass man sich trotz Vorfahrt-Regel die Vorfahrt nicht erzwingen darf, der sonstige Verkehr von Ihrer Position aus einsehbar gewesen sei usw. usf. Betroffene Laien sehen das als reine Schikane an, übersehen aber, dass Sie die Argumente vortragen müssen, warum die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs ausnahmsweise zurücktritt. Wenn man also von der gegnerischen Versicherung aufgefordert wird, seine Sicht der Dinge darzulegen, ist also bei der Wahl der Worte allerhöchste Vorsicht geboten. Ich empfehle daher eigentlich immer in derartigen Situationen einen mit der Unfallabwicklung erfahrenen Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin einzuschalten. Und zwar bevor Sie unbedacht die Regel zementieren, dass Ihre Betriebsgefahr zählt! Vertrauen Sie mir, Sie merken es nicht, wenn Sie der Versicherung des Gegners die Argumente für den kommenden Rechtsstreit in die Hand geben!

Fazit
Wenn Sie mit einem Kraftfahrzeug in einen Unfall verwickelt werden, haften Sie zumeist mit der Betriebsgefahr mit. Da Sie kurz nach dem Unfall und auch noch ein oder zwei Tage danach unter Schock stehen, sollten Sie vor allem vorsichtig sein, kostenauslösende Maßnahmen zu ergreifen, beispielsweise einen Ersatzwagen anmieten in der Erwartung, dass Ihr Schaden zu 100 Prozent von der gegnerischen Versicherung reguliert wird. Erst wenn Sie wieder richtig Luft bekommen, leiten Sie die notwendigen Schritte ein. Oder Sie gehen gleich zur Rechtsanwältin oder zum Rechtsanwalt Ihres Vertrauens, haben nur wenig Arbeit mit den lästigen Formalitäten und können sicher sein, dass man sich um die bestmögliche Regulierung Ihres Schadens bemüht.

Wenn Sie sich für meine Kategorie „Auto und Verkehr“ interessieren, schauen Sie vielleicht auch bei diesem Beitrag vorbei:
Verkehrsunfall und Sie trifft keine Schuld? Warum Sie bitte immer, ja immer eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt bei einem Verkehrsunfall konsultieren sollten

Also, bleiben Sie mir gewogen und vertragen Sie sich! 😉

Ihr Ralf Beckmann

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Wenn Hunde das eigene Herrchen beißen – Urteil des OLG Celle vom 05.10.2022 – Az. 14 U 19/22

Von Gastautorin Rechtsanwältin Jana Christina Hartmann

Die Haftung des Hundehalters beschäftigt die Gerichte immer wieder. Zumeist geht es dabei darum, dass ein Dritter von dem Hund gebissen wird. In der Folge versucht der Gebissene, beziehungsweise der entsprechende Krankenversicherer, Ansprüche gegen den Hundehalter geltend zu machen. Einen nicht so alltäglichen Fall hatte hingegen das OLG Celle zu entscheiden. Im Mittelpunkt des Falles stand dabei ein Hund, der sein eigenes Herrchen biss – nachdem der Hund von einem Auto überfahren worden war.

Sachverhalt
Die Klägerin ist im vorliegenden Fall die gesetzliche Krankenversicherung des Zeugen B, welcher bereits am 28.04.2017 von seinem Rauhaardackel gebissen wurde. Kurz vor dem Biss wurde der Hund durch ein Fahrzeug überfahren, welches vom Beklagten zu 1 geführt wurde. Das Fahrzeug des Beklagten zu 1, welcher auch der Halter des Fahrzeuges ist, ist bei der Beklagten zu 2 versichert.

Der Zeuge B ist Jagdpächter eines bestimmten Bereiches. Der Zeuge B und der Beklagte zu 1 verkehren schon seit einigen Jahren freundschaftlich miteinander; beide teilen ein Interesse für die Jagd. In der Vergangenheit jagte der Zeuge B als Gast im Jagdgebiet des Beklagten zu 1. Nachdem Letzterer nun jedoch keine Jagd mehr innehatte, während der Zeuge B Pächter einer Jagd wurde, durfte der Beklagte zu 1 bei Zeuge B häufiger als Jagdgast jagen. Hierbei half er dem Zeugen B auch bei gemeinschaftlichen Unternehmungen, wie beispielsweise dem Anlegen eines Pirschpfades oder der Errichtung von Jagdeinrichtungen.

Am 28.04.2017 brachte der Beklagte zu 1 Materialien für einen Hochsitz zum B; hierzu war er seitens B gebeten worden. Den Hochsitz beabsichtige B an einem vorher gemeinsam vereinbarten Ort im Wald bauen zu wollen. Infolgedessen befuhr der Beklagte zu 1 den Waldweg mit seinem Pick-up. Der Zeuge B befand sich zusammen mit seinem Rauhaardackel bereits an der vereinbarten Stelle. Der Hund lief an einer langen Leine. Zeuge B und der Angeklagte begannen mit den Arbeiten; sodann wollte der Beklagte zu 1 seinen Pick-up umsetzen. Als er anfuhr, übersah er den Hund des Zeugen B. Dieser wurde so vom rechten Vorderrad des Pick-ups, welcher der Beklagte zu 1 führte, überfahren. In der Folge hob der Zeuge B seinen leblos wirkenden Hund, der auf dem Boden lag, auf. Dieser biss den Zeugen dann unvermittelt tief in das linke Handgelenk. Die Verletzung entzündete sich in der Folge und eine Operation wurde erforderlich. Bis zum 17.09.2017 war der Zeuge B arbeitsunfähig. Die Heilbehandlungskosten beliefen sich auf 11.221,53 Euro. Zwischen dem 01.05.2017 und dem 09.06.2017 erhielt der Zeuge 2.195,65 Euro Entgeltfortzahlung. Der Krankenversicherer des Zeugen B übernahm die Kosten und versuchte diese sodann vom Beklagten zu 1 und der Beklagten zu 2, dem Kfz-Versicherer, zu regressieren. Mangels Erfolg wurde Klage erhoben. Das Landgericht Lüneburg lehnte die Klage jedoch ab. Grund hierfür sei die Haftungsprivilegierung gem. §§ 104 ff. SGB VII, da der Beklagte zu dem Zeugen B unter arbeitnehmerähnlichen Umständen geholfen habe, den Hochsitz zu bauen. Die Arbeit habe im Hinblick auf den geländegängigen Pick-up des Beklagten zu 1 auch wirtschaftlichen Wert. Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.

Entscheidung des OLG Celle
In der Sache hatte die Berufung größtenteils Erfolg; die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 4 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG gegen die Beklagten als Gesamtschuldner, §§ 115 Abs. 1 S. 4 VVG, § 421 BGB.

Da die Klägerin gegenüber dem Zeugen B Versicherungsleistungen übernommen hat, d.h. die angefallenen Heilbehandlungskosten und die Entgeltfortzahlung leistete, sind die gesetzlichen Voraussetzungen des § 116 SGB X erfüllt.

Der Unfall hat sich auch bei Betrieb des Beklagtenfahrzeuges ereignet. Grundsätzlich muss der Schaden im Rahmen eines Anspruchs aus § 7 Abs. 1 StVG bei Betrieb des Kfz entstanden sein. Das ist dann gegeben, wenn sich die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kfz (mit)geprägt worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr bedeutet dies die Erforderlichkeit, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kfz besteht. Vorliegend stehe der Unfall aufgrund des nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs mit dem Betrieb des Kfz in Zusammenhang. Unmittelbar nachdem der Hund überrollt worden ist, kam es zu dem Biss. Dabei habe sich der Zeuge B und damit auch die Klägerin keinen eigenen Gefahrenkreis zuzurechnen. Der Zeuge B habe bereits aus tierschutzrechtlichen Belangen nach seinem eigenen Tier schauen müssen. Weitere Mitursächlichkeiten am Biss des Tieres seien gerade nicht erkennbar – der Hund wirkte zunächst nicht mehr am Leben, sodass man nicht mit einer Abwehrhaltung des Hundes habe rechnen müssen. Es sei nicht ersichtlich und nachgewiesen, dass der Rauhaardackel eine besondere Aggressivität an den Tag lege. Das Überfahren sei auch die Ursache des Bisses gewesen. Der Ursachenzusammenhang sei auch i.S.v. § 286 ZPO ausreichend gewiss.

Ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG habe zudem nicht vorgelegen. Tatsachen hierzu wurden seitens der Beklagten bereits nicht vorgetragen, welche eine andere Beurteilung ermöglichen. So hätte sich insbesondere ein Idealfahrer vor dem Anfahren versichert, dass der Hund nicht direkt am Kfz ist – das dies erfolgt sei, war nicht nachgewiesen.

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Zeuge B Halter des Hundes ist. Mithin unterfällt er, und damit auch die Klägerin, einer Gefährdungshaftung (§ 833 S. 1 BGB), sodass die entsprechende Tiergefahr anspruchsmindernd zu berücksichtigen ist. Im Rahmen der durchzuführenden Haftungsabwägung hängt die Verpflichtung zum Ersatz von verschiedenen Umständen ab, insbesondere wie weit der Schaden von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist.

Vorliegend sei nach Ansicht des OLG Celle jedoch weder ein Verschulden des Zeugen B noch des Beklagten zu 1 festgestellt worden. Mithin komme es lediglich darauf an, inwieweit sich die jeweiligen tatbestandspezifischen Gefahren – Betriebsgefahr des Kfz und Tiergefahr des Hundes – sich im Kausalverlauf realisiert haben.

Darüber hinaus können sich die Beklagten nach Ansicht des OLG Celle nicht auf die §§ 104 ff. SGB X berufen. Der Grund hierfür läge darin, dass der Beklagte zu 1 nicht betrieblich für den Zeugen B tätig geworden sei. Zudem sei er auch nicht wie ein Beschäftigter, § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII tätig geworden; die Tätigkeit des Beklagten zu 1 sei nicht unter arbeitnehmerähnlichen Umständen erbracht worden. Hierbei sei insbesondere auf die lange Freundschaft zu rekurrieren gewesen. Es handle sich insgesamt um eine bloße (unversicherte) Gefälligkeitshandlung, deren Handlungstendenz durch die Sonderbeziehung zwischen dem Zeugen B und der Beklagten zu 1 geprägt sei.

Sodann seien die beiderseitigen Gefährdungshaftungen abzuwägen gewesen. Dabei sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Beklagte zu 1 mit seinem Fahrzeug die erste Ursache für den Fall gesetzt habe und die gesamte Situation prägte, sodass es zu einem deutlichen Haftungsübergewicht der Beklagten komme. Das Gericht setzte so die Beteiligung des Zeugen B aufgrund der Tiergefahr mit einer Höhe von 25 Prozent an. Gerade verletzte Tiere bergen eine erhöhte Verletzungsgefahr gegenüber Dritten in sich, da die Tiere sich dann in einer Art „Verteidigungsmodus“ befinden würden – unabhängig davon, woher die vorherige Verletzung stamme. Insgesamt hat die Klägerin damit einen Anspruch auf Zahlung von 75 Prozent. § 840 Abs. 3 BGB sei vorliegend nicht einschlägig.

Das Urteil des OLG Celle überzeugt im Wesentlichen. Wünschenswert wäre es gewesen, zu erörtern, ob der Mitverschuldensgrad nicht eher darin zu verorten sei, dass der Zeuge seinen Hund an der Leine herumliefen ließ, obgleich erkennbar war, dass der Beklagte zu 1 mit seinem Auto losfahren werde. Mithin hierdurch also ein Gefahrenkreis geschaffen werde, da Tiere, wenn diese an der Leine sind, wohl niemals vollständig gehorchen und er somit mitursächlich für die Situation gewesen ist. So vermag es schwerlich zu überzeugen, dem Halter ein Mitverschulden dafür anzurechnen, dass er – wonach er sogar gesetzlich verpflichtet ist – nach seinem Hund schaute (er sich sich also gesetzestreu verhielt) und aufgrund der Gesamtsituation objektiv nicht unmittelbar mit einer Abwehrreaktion rechnen musste.

Jana Christina Hartmann

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Der Artikel von Frau Hartmann erschien zuerst als Rechtstipp auf ANWALT.DE unter:

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Volles Schmerzensgeld bei einem Hundebiss? Ist das richtig, obwohl das Opfer den Hund zuvor gestreichelt oder umarmt hat?

Das Landgericht Frankenthal hat im Dezember 2022 ein Urteil seiner 9. Zivilkammer zum Fall einer Beißattacke durch einen bekannten Hund veröffentlicht; hier. Es handelt sich um das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 04.11.2022, Az. 9 O 42/21.

Was war passiert? Nach der Pressemitteilung des Landgerichts war eine Frau zu Besuch bei einer Freundin. Anwesend war auch der Bruder der Freundin mit seinem Rottweiler Rüden. Das spätere Opfer soll den Hund schon gut gekannt haben und mit ihm vertraut gewesen sein. Aggressives Verhalten seitens des Hundes gegenüber dem Opfer soll es zuvor nicht gegeben haben. Sie habe vielmehr zuvor mit ihm mehrfach gespielt und gekuschelt. Am Unfalltag habe sie sich dann zu dem Hund heruntergebeugt und ihn am Kopf gestreichelt. Der Rottweiler habe  das Opfer dann unvermittelt in das linke Ohr gebissen und verletzt.

Das Landgericht sah in diesem Verhalten, nämlich Herunterbeugen und Streicheln, jedenfalls dann kein Mitverschulden begründendes Verhalten, wenn man den Hund  über geraume Zeit kennen würde und der Hund bisher kein aggressives Verhalten gezeigt habe.
Aus diesem Grund hat das Landgericht einen Mitverschuldenseinwand des Beklagten verworfen und der Klägerin den vollen Schadenersatz zugesprochen.

Dieses Urteil halte ich im Ergebnis für falsch. Die Beteiligung von Tieren führt m.E. oftmals dazu, tierisches Verhalten mit menschlichen Maßstäben zu bewerten, was wiederum zu falschen juristischen Ergebnissen führt.
Aber warum ist das Urteil nun meiner Meinung nach falsch? Richtig ist die nüchterne Feststellung des Landgerichts, dass ein Hundehalter (Tierhalter ganz allgemein natürlich auch), sofern sein Hund einen Schaden verursacht und dieser kausal auf sein tierisches Verhalten zurückzuführen ist, ohne Verschulden haftet; vorausgesetzt, es handelt sich um eine Hobbyhaltung und die Tiere dienen nicht dem Lebensunterhalt, wie bspw. Kühe beim Bauern.
Was bedeutet ohne Verschulden? Einwände des Laien wie, mein Hund war doch angeleint, er hat das zuvor niemals gemacht, ich musste damit also nicht rechnen, sind unerheblich, zählen also nicht. Es ist ganz einfach, der Hund hat gebissen, das Beißen gehört zum Verhalten des Hundes, durch den Biss wurde jemand verletzt, also haftet der Halter in vollem Umfang für den eingetretenen Schaden. ABER! Die Anwendung des § 254 BGB, nämlich ein anzurechnendes Mitverschulden, ist auch bei der Tierhalterhaftung möglich! Das wichtigste Element beim Mitverschulden ist der sog. Verursachungsbeitrag. Der oder die Geschädigte muss einen eigenen Beitrag zum Eintritt des Schadens geleistet haben. Dies kann durch aktives Tun oder auch durch Unterlassen geschehen sein. Wenn ich mich im Verkehrsunfallrecht befinde, kann bspw. die Nichteinhaltung des Sicherheitsabstandes zum Vordermann oder das fehlende Anschnallen eine Unterlassung sein, die zu einem Mitverschulden führt. Hier sehe ich diesen Beitrag der Geschädigten durch das Unterlassen des notwendigen Sicherheitsabstandes zum Hund. Jeder, mit Hunden etwas vertraute Mensch weiß, dass auch der friedlichste Hund plötzlich und unerwartet beißen kann. Will ich das bestmöglich vermeiden, halte ich eben Abstand. Hier hat die betroffene Frau nicht nur keinen Abstand gehalten, sondern den Hund auch noch umarmt und gestreichelt. Mehr Nähe geht nicht und eben auch nicht mehr Gefahr. Auch ohne die Einschaltung eines Sachverständigen für Hundeverhalten drängt sich jedermann die Überlegung auf, dass der Biss am linken Ohr nicht passiert wäre, wenn das spätere Opfer den Hund nicht umarmt und gestreichelt hätte. Allein die extreme Nähe hat den konkreten Biss am Ohr möglich gemacht. Ob diese Nähe überhaupt den Biss als solchen ausgelöst hat, ist fast unerheblich. Denn selbst wenn der bei einem Abstand der Geschädigten von einem Meter dennoch Anstalten zum Beißen gemacht hätte, wäre der Verlauf eben ein völlig anderer gewesen. Diese Überlegungen wischt das Landgericht nun aber mit der, so meine ich, unerheblichen Überlegung zur Seite, dass das Opfer den Hund kannte und umgekehrt der Hund das Opfer und der Hund zuvor niemals Aggressivität gezeigt habe. Das Landgericht verkennt dabei aber, dass es eben zum unberechenbaren, tierischen Verhalten gehört, eben nicht immer wie gewohnt zu agieren oder zu reagieren. Dass der Hund, der im juristischen Sinne keinen eigenen Willen hat, zeigt, dass es für ihn ohne Belang ist, dass er das Opfer kannte, belegt die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens. Der bedauernswerte Roy von Siegfried & Roy konnte davon bezüglich eines von ihm großgezogenen Tigers ein leidvolles Lied singen. Dass das Opfer den Hund kannte und daher sein Verhalten für die Situation falsch einschätzte, ist menschlich nachvollziehbar, aber juristisch hätte das Opfer eben die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens beachten müssen, gerade weil sie den Hund besser kannte. Nur wer von Hunden und dem Hund konkret absolut keine Ahnung hat, kann sich m.E. darauf berufen, mit einem Angriff nicht gerechnet zu haben. Wer ein bisschen von Hunden und konkret von dem Hund versteht, eben nicht! Der muss schlicht vorsichtig sein. Tut er es nicht, was menschlich nachvollziehbar ist, haben wir eben das Mitverschulden.

Es kommt daher bei der Beurteilung des Mitverschuldens allein darauf an, dass das aktive Suchen der Nähe zum Hund bis zur Umarmung ein Verursachungsbeitrag der Geschädigten war, der den Biss und Schaden erst möglich gemacht hat. Dies hätte das Landgericht m.E. berücksichtigen müssen.

Was lernen wir daraus? Auch wer sich mit vermeintlich harmlosen Haustieren umgibt, sollte wissen, dass es eine hundertprozentige Sicherheit für ein aggressionsloses Verhalten in jeder Situation nicht gibt.  Wer als Hundehalter oder auch Opfer von Bissen oder Verletzungen betroffen ist, sollte sich besonders qualifizierten, juristischen Rat suchen. Das Urteil zeigt, die Situation ist extrem kompliziert. Zu den üblichen juristischen Fragen kommen immer Beurteilungsfragen zum tierischen Verhalten hinzu. Guter Rat tut deshalb doppelt Not.

Gleichwohl wünsche ich den vielen glücklichen und unfallfreien Hundehaltern weiterhin eine gute Zeit mit Ihren Hunden.

Bleiben Sie mir gewogen und vertragen Sie sich.

Ihr Ralf Beckmann

P.S. Hier noch der Link zu der Pressemitteilung des Landgerichts Frankenthal für diejenigen, die gern noch selbst nachlesen möchten.

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