Vorbemerkungen
Häufig sieht man auf bzw. am Eingang zu Baustellen Schilder mit sinngemäß folgendem Text: „Achtung Baustelle – Eltern haften für Ihre Kinder“

Als Volljurist und ehemaliger Rechtsanwalt mit langer Prozesserfahrung im Schadenersatzrecht muss man da zumeist etwas schmunzeln. Warum, weil diese Hinweise niemanden binden und das Baustellenschild nur selten und dann nur halb zutreffend ist.


Warum haften Eltern für Ihre Kinder – Haften Kinder nicht selbst?
Zunächst einmal zu den Kindern. § 828 BGB legt fest, dass Kinder, das Gesetz sagt hier Minderjährige, bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres überhaupt nicht haften; § 828 Abs. 1 BGB.

§ 828 Abs. 2 BGB legt fest, dass ein Kind mit vollendetem 7. Lebensjahr, das aber noch nicht das 10. Lebensjahr vollendet hat, für den Schaden, den es einem anderen zufügt, nicht haftet, wenn dies im Zusammenhang mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienen- oder Schwebebahn steht. Ausnahme, dass Kind begeht die Tat vorsätzlich!

Und Abs. 3 von § 828 BGB bestimmt, dass alle anderen Minderjährigen (also bei Tatbegehung oder zum Unfallzeitpunkt unter 18-jährigen), deren Haftung nicht nach Abs. 1 oder 2 ausgeschlossen ist, nur haften, wenn er oder sie bei Begehung des Schadens die erforderliche Einsichtsfähigkeit hatten. Oder umgekehrt ausgedrückt: Minderjährige, die bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatten, haften nicht.

Damit ist zunächst einmal klar, dass ein Kind, so nenne ich die Minderjährigen jetzt hier der Einfachheit halber, nur beim Erreichen eines bestimmten Alters haften.
Anders ausgedrückt sagt § 828 BGB, dass Kinder unter sieben Jahren nie haften! Steht die Schädigung im Zusammenhang mit einem Kfz, Schienen- oder Schwebebahn, wird die Haftungsfreistellung bis zum vollendeten 10. Lebensjahr angehoben, sofern kein Vorsatz vorliegt. Ansonsten haften alle Kinder ab dem vollendeten 7. Lebensjahr, wenn sie die bei Begehung der schädigenden Handlung erforderliche Einsicht zur Verantwortlichkeit hatten.
Hierzu ein Beispiel: Einem 14-jährigen, der mit Pfeil und Bogen in einem öffentlichen, belebten Park Schießübungen macht und dabei einen Passanten verletzt, wird man in aller Regel die Einsichtsfähigkeit in sein gefährliches Tun unterstellen dürfen. Also haftet dieses Kind oder Jugendliche persönlich.

Nun kommt das große ABER in Form von § 832 BGB. Denn beispielsweise die Eltern können für die Verletzung der sog. Aufsichtspflicht haften. Haftet das Kind aus einem der o.g. Gründe wegen § 828 BGB nicht, kann der Geschädigte von den Eltern als „Aufsichtspflichtigen“ Schadenersatz verlangen. Ob jetzt die Eltern haften, wenn der 6-jährige mit einem Nagel die Autotür des Nachbarn zerkratzt, hängt vom Einzelfall ab. Jedenfalls müssen sich die Eltern dann entlasten. Also nachweisen, wie Sie die Aufsicht über den Sohnemann geführt haben. Hier sollten Sie sich im Fall der Fälle auf jeden Fall anwaltlich beraten lassen, denn jeder Fall liegt anders.  Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn der Sohnemann zuvor schon dreimal mit einem Nagel an den Autotüren anderer Nachbarn hantiert hat, wird es extrem schwer nachzuweisen, dass man seiner Aufsichtspflicht nachgekommen ist.


Und das OLG Oldenburg?
Das hatte den Fall einer Großmutter zu verhandeln, die von Ihrem 2½-jährigem Enkel mit dem PKW der Mutter angefahren und verletzt wurde. Wie war das möglich? Die Mutter setzte den Sohn in den Kindersitz auf dem Beifahrersitz, schnallte ihn aber noch nicht an. Den Autoschlüssel hatte sie auf das Armaturenbrett gelegt. Der Filou krabbelte aus dem Kindersitz, steckte den Schlüssel in das Schloss und startete den Wagen. Dieser machte einen Satz nach vorn und verletzte die Großmutter. Die Krankenkasse und nicht die Großmutter verlangte nun von der Mutter wegen der Verletzung der Aufsichtspflicht die ärztlichen Behandlungskosten für die Großmutter erstattet.

Wir wissen bereits, der kleine Mann ist nicht deliktsfähig und haftet nicht für seine Tat, weil unter sieben Jahren alt. Aber hatte die Mutter der Aufsichtspflicht genügt? Das Landgericht hatte die Klage noch abgewiesen, weil die sog. Kausalkette derart ungewöhnlich und unvorhersehbar war, dass die Mutter nicht mit einer Verletzung der Großmutter rechnen musste. Das OLG sah dies anders. Kleinkinder bedürften der ständigen Aufsicht, meinte das OLG. Erfahrungsgemäß griffen Kinder zu umherliegenden Gegenständen wie Schlüsseln und versuchten sie dann in Schlösser zu stecken. Also, hätte die Mutter das Kind anschnallen und die Fahrzeugschlüssel mitnehmen müssen. Andernfalls hätte sie die Aufsicht einer anderen Person (die Großmutter?) übertragen müssen.
Ich sehe die Argumente des OLG eher kritisch. Einfach mal so in den Raum stellen, dass 2½-jährige Kinder nach Schlüsseln greifen und diese dann zielsicher in das Schloss des Fahrzeugs stecken? Aber musste man damit rechnen? Ich denke dann andererseits, wer Kinder hat weiß, dass man mit allem Blödsinn dieser Welt rechnen muss. Also, die Mutter hat vielleicht ein Ding zu viel falsch gemacht. Das Kind nicht angeschnallt, keine Aufsicht und dann noch die Schlüssel im PKW zurückgelassen? Wie man sieht, kann man es wohl so oder so sehen. Denn das OLG war die Berufungsinstanz. Das Landgericht hatte die Klage der Krankenkasse zuvor noch abgewiesen.

Aber, aus dem Fall wird die finanzielle Gefahr für die Mutter deutlich. Es reicht eben nicht, wenn verletzte Mutter/Großmutter sich sagt, ich verklage  doch nicht meine eigene Familie. Denn die Ansprüche der Mutter/Großmutter wegen der ärztlichen Behandlungskosten gehen kraft Gesetzes auf die Krankenkasse über. Die Großmutter mag ihren Enkel und die Tochter vielleicht nicht verklagen. Die Krankenkasse hat da weniger Mitleid.

Deshalb sollten wir stets gut auf die kleinen Racker achtgeben. Wo kein Schaden, da kein Kläger!
Und zu guter Letzt wissen wir auch noch, „Eltern haften für Ihre Kinder“ gilt nur manchmal. Das Baustellenschild hat also nur zeitweilig recht. 

Bleiben Sie mir gewogen und vertragen Sie sich 😉

Ihr Ralf Beckmann

OLG Oldenburg, die Pressemitteilung vom 22.05.2023

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