Spätestens wenn Sie mit Ihrem PKW einen Verkehrsunfall (VU) haben, werden Sie über diesen Begriff „stolpern“, die Betriebsgefahr. Bitte lassen Sie sich nicht von Menschen, die alles wissen und selbst schon mal einen VU hatten erklären, wie das einzuordnen ist. Lesen Sie es einfach hier nach.
Ergänzend gibt es auch noch einen weiteren Artikel von mir zu diesem Thema:
Betriebsgefahr – wann gilt sie und wann nicht?
Abstrakte Gefahr vs. Verschulden
Im deutschen Zivilrecht gibt es mehrere Haftungsmöglichkeiten. Wenn es sich nicht um einen Vertrag zwischen zwei Vertragspartnern handelt, kennen wir eigentlich nur die abstrakte Haftung als Gefährdungshaftung, der eine allgemeine Gefahr zugrunde liegt und die Haftung aus Verschulden. Dem Laien wird diese Unterscheidung herzlich egal sein, wenn sein Rechtsanwalt oder seine Rechtsanwältin anlässlich eines VU den vollen Schadenersatz für ihn durchsetzt. Um die Betriebsgefahr zu verstehen, muss man das aber etwas genauer betrachten.
Ein Beispiel für die Gefährdungshaftung ist die sog. Tiergefahr. § 833 BGB legt fest, dass der Halter des Tieres für Schäden haftet, die durch Verwirklichung der abstrakten Tiergefahr entstehen. Was viele nicht wissen ist, dass es dabei nicht auf ein „Verschulden“ des Halters ankommt. Sie kennen die allseits beliebten Flexi-Leinen? Sie haben die Leine arretiert und gehen links neben einem Fahrradweg. Der Hund zieht plötzlich nach rechts auf den Fahrradweg. Sie sind kräftig genug, um Ihren Hund sofort wieder auf den Fußweg zurückzuziehen. Ein entgegenkommender Fahrradfahrer meint, nicht mehr rechtzeitig vor dem auf dem Radweg stehenden Hund bremsen zu können, weicht aus und stürzt. Dabei verletzt er sich. Sie fühlen sich nicht schuldig am Unfall, denn objektiv haben sie den Hund so rechtzeitig wieder weggezogen, dass der Fahrradfahrer auch hätte weiterfahren können, ohne auszuweichen. Falsch! Auch wenn jetzt viele anders denken, Sie haften als Halter. Das Verhalten des Hundes ist eine von vielen Gefahren, die von ihm ausgehen, nämlich unkontrolliertes Loslaufen, in den Weg stellen, beißen usw. Der Fahrradfahrer wäre nicht gestürzt, wäre Ihr Hund nicht für kurze Zeit auf den Radweg gelaufen und hätte den Radfahrer zum Ausweichen veranlasst. Zu diesem Verhalten müssen Sie nichts beigetragen haben. Sie haften dennoch, weil es das Gesetz so will, wenn sich eine Tiergefahr verwirklicht hat.
Ähnlich ist es mit der Betriebsgefahr eines Fahrzeugs. Weil ein PKW grundsätzlich gefährlich ist, haften Sie mit dessen Betriebsgefahr, die zwischen 20 und 25 Prozent des eingetretenen Schadens (auch auf Ihrer Seite) liegt. Da gibt es zunächst einmal kein Entrinnen.
Betriebsgefahr – wann entfällt sie?
Meist wird in gerichtlichen Urteilen davon gesprochen, dass das Verschulden des Unfallverursachers sei derart groß ist und überwiege, dass die Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs dahinter zurücktrete. Mithin, sie haften überhaupt nicht und der Gegner zahlt Ihren Schaden zu 100 Prozent. Das hört sich reichlich „schwammig“ an und hilft Ihnen nicht weiter? Genau! Jungen Juristen, frisch aus der Uni in das echte Leben geworfen, geht es genauso. Das ist einfach eine Standardformulierung, die sich für Richter gegen Angriffe in Berufungsverfahren bewährt hat. Wenn man dazu noch einen vernünftigen Bezug zu einer Tatsachenfeststellung in einem Verfahren …. Ja, jetzt wird es völlig unverständlich, ich weiß. ABER! Sie sollten sich vielleicht als Laie merken, dass die Betriebsgefahr absolut sicher nur in wenigen, denkbaren Situationen entfällt. Ein Beispiel: Sie stehen mit Ihrem Fahrzeug als Erster vor der roten Ampel und warten auf Grün. Plötzlich fährt ein unachtsamer Fahrer hinten auf Ihr Fahrzeug auf. Da können Sie noch so unbeholfen einen Unfallbericht an die Versicherung des auffahrenden Fahrzeugs schreiben. Mit vernünftigen Gründen wird man in einer solchen Situation nicht mehr einwenden können, dass die Betriebsgefahr Ihres Fahrzeugs zu berücksichtigen sei. Und wenn Sie von rechts kommend an einer Kreuzung gleichberechtigter Straßen von einem von links kommenden Fahrzeug in einen Unfall verwickelt werden? Hier ist höchste Vorsicht geboten. Warum?
Weil man immer einwenden kann, dass man sich trotz Vorfahrt-Regel die Vorfahrt nicht erzwingen darf, der sonstige Verkehr von Ihrer Position aus einsehbar gewesen sei usw. usf. Betroffene Laien sehen das als reine Schikane an, übersehen aber, dass Sie die Argumente vortragen müssen, warum die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs ausnahmsweise zurücktritt. Wenn man also von der gegnerischen Versicherung aufgefordert wird, seine Sicht der Dinge darzulegen, ist also bei der Wahl der Worte allerhöchste Vorsicht geboten. Ich empfehle daher eigentlich immer in derartigen Situationen einen mit der Unfallabwicklung erfahrenen Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin einzuschalten. Und zwar bevor Sie unbedacht die Regel zementieren, dass Ihre Betriebsgefahr zählt! Vertrauen Sie mir, Sie merken es nicht, wenn Sie der Versicherung des Gegners die Argumente für den kommenden Rechtsstreit in die Hand geben!
Fazit
Wenn Sie mit einem Kraftfahrzeug in einen Unfall verwickelt werden, haften Sie zumeist mit der Betriebsgefahr mit. Da Sie kurz nach dem Unfall und auch noch ein oder zwei Tage danach unter Schock stehen, sollten Sie vor allem vorsichtig sein, kostenauslösende Maßnahmen zu ergreifen, beispielsweise einen Ersatzwagen anmieten in der Erwartung, dass Ihr Schaden zu 100 Prozent von der gegnerischen Versicherung reguliert wird. Erst wenn Sie wieder richtig Luft bekommen, leiten Sie die notwendigen Schritte ein. Oder Sie gehen gleich zur Rechtsanwältin oder zum Rechtsanwalt Ihres Vertrauens, haben nur wenig Arbeit mit den lästigen Formalitäten und können sicher sein, dass man sich um die bestmögliche Regulierung Ihres Schadens bemüht.
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Also, bleiben Sie mir gewogen und vertragen Sie sich! 😉
Ihr Ralf Beckmann
Beispielfoto „Gefahr“, mit Dank zur Verfügung gestellt von Markus Spiske auf Unsplash
https://unsplash.com/de/fotos/Cf5kL7vcF6U