Schlagwort: Landgericht Frankenthal

Volles Schmerzensgeld bei einem Hundebiss, auch wenn ich ihn zuvor gestreichelt habe?

Das Landgericht Frankenthal hat im Dezember 2022 ein Urteil zum Fall einer Beißattacke durch einen bekannten Hund veröffentlicht; hier. Es handelt sich um das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 04.11.2022, Az. 9 O 42/21.

Nach der Pressemitteilung des Landgerichts war eine Frau zu Besuch bei einer Freundin. Anwesend war auch der Rottweiler-Rüde des Bruders der Freundin. Das spätere Opfer soll den Hund schon gut gekannt und zuvor mit ihm mehrfach gespielt und gekuschelt haben. Am Unfalltag habe sie sich dann zu dem Hund heruntergebeugt und ihn am Kopf gestreichelt. Der Rottweiler habe das Opfer dann unvermittelt in das linke Ohr gebissen und verletzt.

Das Landgericht sah in diesem Verhalten, nämlich Herunterbeugen und Streicheln, jedenfalls dann kein Mitverschulden begründendes Verhalten, wenn man den Hund  über geraume Zeit kennen würde und der Hund bisher kein aggressives Verhalten gezeigt habe. Deswegen hat das Landgericht einen Mitverschuldenseinwand des Beklagten verworfen und der Klägerin als Opfer den vollen Schadenersatz zugesprochen.

Dieses Urteil halte ich im Ergebnis für falsch. Richtig ist die nüchterne Feststellung des Landgerichts, dass ein Hundehalter, sofern sein Hund einen Schaden verursacht und dieser kausal auf sein tierisches Verhalten zurückzuführen ist, ohne Verschulden haftet. Wurde jemand durch den Biss verletzt, haftet der Halter in vollem Umfang für den eingetretenen Schaden. ABER! Die Anwendung des § 254 BGB, nämlich ein anzurechnendes Mitverschulden, ist auch bei der Tierhalterhaftung möglich! Das wichtigste Element beim Mitverschulden ist der sog. Verursachungsbeitrag. Der oder die Geschädigte muss einen eigenen Beitrag zum Eintritt des Schadens geleistet haben. Hier sehe ich diesen Beitrag der Geschädigten durch das Unterlassen des notwendigen Sicherheitsabstandes zum Hund. Jeder mit Hunden etwas vertraute Mensch weiß, dass auch der friedlichste Hund plötzlich und unerwartet beißen kann. Will ich das bestmöglich vermeiden, halte ich Abstand. Hier hat die betroffene Frau nicht nur keinen Abstand gehalten, sondern den Hund auch noch umarmt und gestreichelt. Mehr Nähe und damit Gefahr für ihr eigenes Wohlbefinden gehen in einer solchen Situation nicht. Auch ohne die Einschaltung eines Sachverständigen für Hundeverhalten drängt sich jedermann die Überlegung auf, dass der Biss am linken Ohr nicht passiert wäre, wenn das spätere Opfer den Hund nicht umarmt und gestreichelt hätte. Allein hat die extreme Nähe den konkreten Biss am Ohr möglich gemacht. Ob diese Nähe überhaupt den Biss als solchen ausgelöst hat, ist unerheblich. Denn selbst wenn der bei einem Abstand der Geschädigten von einem Meter dennoch Anstalten zum Beißen gemacht hätte, wäre der Verlauf eben ein völlig anderer gewesen. Diese Überlegungen wischt das Landgericht mit der, so meine ich, unerheblichen Überlegung zur Seite, dass das Opfer den Hund kannte und umgekehrt der Hund das Opfer und der Hund zuvor niemals Aggressivität gezeigt habe. Das Landgericht verkennt dabei, dass es zum unberechenbaren, tierischen Verhalten gehört, nicht immer wie gewohnt zu agieren oder zu reagieren. Dass der Hund, der im juristischen Sinne keinen eigenen Willen hat, zeigt, dass es für ihn ohne Belang ist, dass er das Opfer kannte, belegt die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens. Dass das Opfer den Hund kannte und daher sein Verhalten für die Situation falsch einschätzte, ist menschlich nachvollziehbar, aber juristisch hätte das Opfer die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens beachten müssen. Nur wer von Hunden und dem Hund konkret absolut keine Ahnung hat, kann sich m.E. darauf berufen, mit einem Angriff nicht gerechnet zu haben. Wer ein wenig von Hunden und konkret von dem Hund versteht, eben nicht! Derjenige musste vorsichtig sein. Tut er es nicht, was menschlich nachvollziehbar ist, haben wir eben das Mitverschulden.
Es kommt daher bei der Beurteilung des Mitverschuldens allein darauf an, dass das aktive Suchen der Nähe zum Hund bis zur Umarmung ein Verursachungsbeitrag der Geschädigten war, der den Biss und Schaden erst möglich gemacht hat. Dies hätte das Landgericht m.E. berücksichtigen müssen.

Bleiben Sie mir gewogen und vertragen Sie sich.

Ihr Ralf Beckmann

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Radfahrer genießen die Privilegien der Vorfahrtstraße – Auto immer vor Fahrrad gibt es nicht!

Vorbemerkungen
Sie fahren gern Auto und fühlen sich manchmal unsicher, wenn sich Fahrradfahrer um Sie und Ihr Fahrzeug tummeln?

Sie sind sich unsicher, wer darf jetzt eigentlich was oder denken vielleicht, dass das motorisierte Fahrzeug vor dem mit Muskelkraft tretenden Fahrradfahrer Vorrang hat? Weit gefehlt. Dies hat nunmehr das Landgericht Frankenthal erneut klargestellt.


Was war passiert?
Ein Verkehrsunfall ereignete sich auf einer Landstraße. Ein Pkw kam aus einem Feldweg und wollte in die Landstraße einbiegen. Parallel zur Landstraße verläuft ein Radweg, den das Fahrtzeug überqueren musste, um auf die Landstraße zu gelangen. Beim Überqueren stieß das Fahrzeug mit einem von links kommenden Radfahrer zusammen. Die PKW-Fahrerin vertrat die Ansicht, der von links kommende Radfahrer hätte ihr die Vorfahrt genommen. Sie verklagte ihn und wollte von ihm die Schäden an ihrem Pkw ersetzt bekommen.

Entscheidung Landgericht Frankenthal
Das Landgericht hat jedoch die Klageabweisung des zuvor zuständigen Amtsgerichts in der Berufung bestätigt. Zunächst hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass die Landstraße zur Vorfahrt gegenüber Fahrzeugen berechtigt, die aus dem Feldweg in die Landstraße einbiegen. Dann stellte sich die Frage, für wen diese Vorfahrt gilt und ob auch nicht unmittelbar auf der Landstraße fahrende Fahrzeuge dieses Vorfahrtsrecht genießen, also der Fahrradfahrer. Das Landgericht erläuterte, dass der parallel zur Landstraße verlaufende und somit „fahrbahnbegleitende“ Radweg insoweit zur Landstraße gehöre. Deshalb nehme dieser Radweg auch an dem Vorfahrtsrecht der Landstraße teil. „Entgegen der Ansicht der Pkw-Fahrerin sei die Zugehörigkeit des Radweges zu der Landstraße durch dessen Beschaffenheit und seinem Verlauf klar erkennbar und eindeutig. Unerheblich sei es, dass er durch eine schmale bewachsene Fläche von der Straße getrennt sei. Auch wenn der Radweg in einiger Entfernung von der Landstraße weggeleitet würde, rechtfertige dies keine andere Beurteilung. Es komme nur auf die örtlichen Verhältnisse am Unfallort an.“

Wie wende ich die vom Landgericht angewandte Regel praxisgerecht an?
Zunächst einmal sollte man sich als Verkehrsteilnehmer und als Fahrzeugführer über die Vorfahrtsverhältnisse zwischen den aufeinander treffenden Straßen klar werden. Gilt rechts vor links, oder weisen Verkehrszeichen auf mein Vorfahrtsrecht oder das Vorfahrtsrecht anderer hin? Im Falle des Feldwegs im Verhältnis zu einer Landstraße muss man einfach wissen, dass der Feldweg kein Vorfahrtsrecht im Sinne von rechts vor links genießt, sondern die vorbeiführende Landstraße. Wenn man das Vorfahrtsrecht grundsätzlich erkannt hat, ich habe aus der Seitenstraße oder dem Feldweg kommend, keine Vorfahrt, sollte man meine persönliche „Bauernregel“ anwenden. Egal, aus welcher Richtung ein Fahrzeug kommt, egal um welches Fahrzeug es sich handelt, egal auf welcher Fahrbahnseite das Fahrzeug fährt, Hauptsache das Fahrzeug bewegt sich irgendwie im Sinne der vorfahrtberechtigten Straße, die Vorfahrt verbleibt bei den Fahrzeugen der vorfahrtberechtigten Straße! Man könnte auch kurz und knapp sagen: Im Zweifel gilt die Vorfahrt immer über die gesamte Straßenbreite für alle dort fahrenden Fahrzeuge! Was bedeutet das konkret?
Einige Beispiele: Unmittelbar neben der Fahrbahn der vorfahrtberechtigten Straße verläuft ein Radweg. Dieser ist nur in der Höhe und durch eine sog. Bordsteinkante von der Fahrbahn abgesetzt. Der oder die Radfahrer/in haben Vorfahrt!
Der Radfahrer fährt auf der „falschen Seite“, weil auf der gegenüberliegenden Straßenseite auch ein Radweg verläuft und der Radfahrer nicht auf dem rechts in seiner Fahrtrichtung verlaufenden Radweg fährt? Er hat trotzdem Vorfahrt! Man kann über ein Mitverschulden des Radfahrers nachdenken, wenn er auf der „falschen Seite“ fährt. Aber zunächst hat er trotzdem Vorfahrt und sie müssen die Vorfahrt gewähren!
Ein PKW fährt kurz vor der Einmündung zu Ihrer Straße auf der falschen, linken Fahrbahn? Er hat trotzdem Vorfahrt! Auch hier kann man über Mitverschulden nachdenken, aber erst einmal haben Sie nicht plötzlich Vorfahrt, nur weil ein Verkehrsteilnehmer auf der falschen Fahrbahnseite der vorfahrtberechtigten Straße fährt.

Nach all den Beispielen sollte man vielleicht sagen: einmal Vorfahrt, immer Vorfahrt!

Bleiben Sie mir gewogen und vertragen Sie sich 😉

Ihr Ralf Beckmann


Landgericht Frankenthal, Urteil vom 24.03.2023, Az. 2 S 94/22

Das Beispiel-Foto wurde mit Dank von Foto von Dovile Ramoskaite auf Unsplash zur Verfügung gestellt:
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Volles Schmerzensgeld bei einem Hundebiss? Ist das richtig, obwohl das Opfer den Hund zuvor gestreichelt oder umarmt hat?

Das Landgericht Frankenthal hat im Dezember 2022 ein Urteil seiner 9. Zivilkammer zum Fall einer Beißattacke durch einen bekannten Hund veröffentlicht; hier. Es handelt sich um das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 04.11.2022, Az. 9 O 42/21.

Was war passiert? Nach der Pressemitteilung des Landgerichts war eine Frau zu Besuch bei einer Freundin. Anwesend war auch der Bruder der Freundin mit seinem Rottweiler Rüden. Das spätere Opfer soll den Hund schon gut gekannt haben und mit ihm vertraut gewesen sein. Aggressives Verhalten seitens des Hundes gegenüber dem Opfer soll es zuvor nicht gegeben haben. Sie habe vielmehr zuvor mit ihm mehrfach gespielt und gekuschelt. Am Unfalltag habe sie sich dann zu dem Hund heruntergebeugt und ihn am Kopf gestreichelt. Der Rottweiler habe  das Opfer dann unvermittelt in das linke Ohr gebissen und verletzt.

Das Landgericht sah in diesem Verhalten, nämlich Herunterbeugen und Streicheln, jedenfalls dann kein Mitverschulden begründendes Verhalten, wenn man den Hund  über geraume Zeit kennen würde und der Hund bisher kein aggressives Verhalten gezeigt habe.
Aus diesem Grund hat das Landgericht einen Mitverschuldenseinwand des Beklagten verworfen und der Klägerin den vollen Schadenersatz zugesprochen.

Dieses Urteil halte ich im Ergebnis für falsch. Die Beteiligung von Tieren führt m.E. oftmals dazu, tierisches Verhalten mit menschlichen Maßstäben zu bewerten, was wiederum zu falschen juristischen Ergebnissen führt.
Aber warum ist das Urteil nun meiner Meinung nach falsch? Richtig ist die nüchterne Feststellung des Landgerichts, dass ein Hundehalter (Tierhalter ganz allgemein natürlich auch), sofern sein Hund einen Schaden verursacht und dieser kausal auf sein tierisches Verhalten zurückzuführen ist, ohne Verschulden haftet; vorausgesetzt, es handelt sich um eine Hobbyhaltung und die Tiere dienen nicht dem Lebensunterhalt, wie bspw. Kühe beim Bauern.
Was bedeutet ohne Verschulden? Einwände des Laien wie, mein Hund war doch angeleint, er hat das zuvor niemals gemacht, ich musste damit also nicht rechnen, sind unerheblich, zählen also nicht. Es ist ganz einfach, der Hund hat gebissen, das Beißen gehört zum Verhalten des Hundes, durch den Biss wurde jemand verletzt, also haftet der Halter in vollem Umfang für den eingetretenen Schaden. ABER! Die Anwendung des § 254 BGB, nämlich ein anzurechnendes Mitverschulden, ist auch bei der Tierhalterhaftung möglich! Das wichtigste Element beim Mitverschulden ist der sog. Verursachungsbeitrag. Der oder die Geschädigte muss einen eigenen Beitrag zum Eintritt des Schadens geleistet haben. Dies kann durch aktives Tun oder auch durch Unterlassen geschehen sein. Wenn ich mich im Verkehrsunfallrecht befinde, kann bspw. die Nichteinhaltung des Sicherheitsabstandes zum Vordermann oder das fehlende Anschnallen eine Unterlassung sein, die zu einem Mitverschulden führt. Hier sehe ich diesen Beitrag der Geschädigten durch das Unterlassen des notwendigen Sicherheitsabstandes zum Hund. Jeder, mit Hunden etwas vertraute Mensch weiß, dass auch der friedlichste Hund plötzlich und unerwartet beißen kann. Will ich das bestmöglich vermeiden, halte ich eben Abstand. Hier hat die betroffene Frau nicht nur keinen Abstand gehalten, sondern den Hund auch noch umarmt und gestreichelt. Mehr Nähe geht nicht und eben auch nicht mehr Gefahr. Auch ohne die Einschaltung eines Sachverständigen für Hundeverhalten drängt sich jedermann die Überlegung auf, dass der Biss am linken Ohr nicht passiert wäre, wenn das spätere Opfer den Hund nicht umarmt und gestreichelt hätte. Allein die extreme Nähe hat den konkreten Biss am Ohr möglich gemacht. Ob diese Nähe überhaupt den Biss als solchen ausgelöst hat, ist fast unerheblich. Denn selbst wenn der bei einem Abstand der Geschädigten von einem Meter dennoch Anstalten zum Beißen gemacht hätte, wäre der Verlauf eben ein völlig anderer gewesen. Diese Überlegungen wischt das Landgericht nun aber mit der, so meine ich, unerheblichen Überlegung zur Seite, dass das Opfer den Hund kannte und umgekehrt der Hund das Opfer und der Hund zuvor niemals Aggressivität gezeigt habe. Das Landgericht verkennt dabei aber, dass es eben zum unberechenbaren, tierischen Verhalten gehört, eben nicht immer wie gewohnt zu agieren oder zu reagieren. Dass der Hund, der im juristischen Sinne keinen eigenen Willen hat, zeigt, dass es für ihn ohne Belang ist, dass er das Opfer kannte, belegt die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens. Der bedauernswerte Roy von Siegfried & Roy konnte davon bezüglich eines von ihm großgezogenen Tigers ein leidvolles Lied singen. Dass das Opfer den Hund kannte und daher sein Verhalten für die Situation falsch einschätzte, ist menschlich nachvollziehbar, aber juristisch hätte das Opfer eben die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens beachten müssen, gerade weil sie den Hund besser kannte. Nur wer von Hunden und dem Hund konkret absolut keine Ahnung hat, kann sich m.E. darauf berufen, mit einem Angriff nicht gerechnet zu haben. Wer ein bisschen von Hunden und konkret von dem Hund versteht, eben nicht! Der muss schlicht vorsichtig sein. Tut er es nicht, was menschlich nachvollziehbar ist, haben wir eben das Mitverschulden.

Es kommt daher bei der Beurteilung des Mitverschuldens allein darauf an, dass das aktive Suchen der Nähe zum Hund bis zur Umarmung ein Verursachungsbeitrag der Geschädigten war, der den Biss und Schaden erst möglich gemacht hat. Dies hätte das Landgericht m.E. berücksichtigen müssen.

Was lernen wir daraus? Auch wer sich mit vermeintlich harmlosen Haustieren umgibt, sollte wissen, dass es eine hundertprozentige Sicherheit für ein aggressionsloses Verhalten in jeder Situation nicht gibt.  Wer als Hundehalter oder auch Opfer von Bissen oder Verletzungen betroffen ist, sollte sich besonders qualifizierten, juristischen Rat suchen. Das Urteil zeigt, die Situation ist extrem kompliziert. Zu den üblichen juristischen Fragen kommen immer Beurteilungsfragen zum tierischen Verhalten hinzu. Guter Rat tut deshalb doppelt Not.

Gleichwohl wünsche ich den vielen glücklichen und unfallfreien Hundehaltern weiterhin eine gute Zeit mit Ihren Hunden.

Bleiben Sie mir gewogen und vertragen Sie sich.

Ihr Ralf Beckmann

P.S. Hier noch der Link zu der Pressemitteilung des Landgerichts Frankenthal für diejenigen, die gern noch selbst nachlesen möchten.

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