Das Landgericht hat in diesem Monat einen für Privatpersonen interessanten Fall durch ein inzwischen rechtskräftiges Urteil abgeschlossen.1) Warum ist der Fall interessant? Weil es einmal wieder um das von Rechtsanwälten heißgeliebte Nachbarrecht geht. Heißgeliebt deshalb, weil bei Nachbarstreitigkeiten regelmäßig die erworbene Fähigkeit zur Beruhigung der Mandanten angewandt werden muss. Die Emotionen kochen meist hoch.

Teil 1: Der Fall

Worum ging es im Fall des Landgerichts Frankenthal? Ein Ehepaar, Nachbarn der verklagten Eheleute, wollte die Errichtung eines Grenzzaunes nicht hinnehmen und macht ein sog. Notwegerecht geltend. Das Landgericht teilt dazu mit, dass das Notwegerecht verneint worden sei. Zwar haben die klagenden Eheleute über einige Zeit hinweg das Grundstück des beklagten Ehepaares nutzen dürfen, um mit Fahrrädern, Motorrädern oder auch der Mülltonne von der Straße zum eigenen Grundstück zu gelangen. Dieser „Zugang“ war den klagenden Eheleuten nun durch den Zaun versperrt.
Entscheidend für die Ablehnung des Notwegerechts war, dass die klagenden Eheleute auch auf einem anderen Weg, wenn auch beschwerlicher und umständlicher, zu Ihrem Grundstück gelangen konnten und weiterhin können. Die Tatsache, dass die Kläger jetzt bspw. ein Fahrrad über zwei Stufen hinweg tragen und durch den Hausflur gehen müssen, um zum Innenhof zu gelangen, wo das Fahrrad abgestellt wird, sei unerheblich. Das Notwegerecht frage eben nicht danach, ob andere Wege beschwerlicher seien, sondern andere Wege müssen fehlen.
Auch der Umstand, dass der Kläger gehbehindert ist, hat das Landgericht nicht als Ausnahme für die Bejahung des Notwegerechts gewertet. Auf dem umständlichen und beschwerlichen Weg zu seinem Haus oder Grundstück kann schließlich ein behindertengerechter Weg angelegt werden.
Also, keine Ausnahmen, weil das Notwegerecht eben nur besteht, wenn ein Grundstück eine Insellage aufweise, also nur bzw. ausschließlich über ein angrenzendes Grundstück erreichbar sei. Da das Grundstück der Kläger auch eine direkte Anbindung an die öffentliche Straße besitzt, wurde die Klage abgewiesen.

Teil 2: Hintergründe für eine von Anfang an schwierige Klage

Warum dann aber überhaupt klagen? Der die Kläger vertretende Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin hätte das Ergebnis doch kommen sehen müssen, oder?
Erstens sollte man nicht die Macht der Sturheit der eigenen Mandanten unterschätzen. Es ist heute einfach so, dass eine Vielzahl von Menschen vorgegebene Regeln des Staates, die sie selbst nicht so ganz verstehen, einfach nicht akzeptieren will. Nach dem Motto: „Für mich muss es doch eine Ausnahme geben.“ Oder: „Das kann doch nicht richtig sein. Das müssen wir überprüfen!“ Mit  derartigem Schwung und einem klagefreudigen Rechtsanwalt schafft man es dann eben doch zum Gericht und zum ungeliebten, aber absehbaren Ergebnis.
Ein zweiter Faktor ist die vorhandene Rechtsschutzversicherung. Der Glaube, auch unter Rechtsanwälten, ist groß, dass die Rechtsschutzversicherung das Recht habe, den Fall vorab durchzuprüfen und ein mit hoher Wahrscheinlichkeit negatives Ergebnis könne dann zur Ablehnung des Falles führen. Nein, so ist es eben nicht! Die Rechtsschutzversicherung darf  zunächst lediglich prüfen, ob der Fall zum versicherten Risiko gehört. Was heißt das? Natürlich kann ich nicht die Übernahme der Kosten von meiner Versicherung verlangen, wenn ich ausdrücklich nur den Bereich „Verkehrsrecht“ versichert habe, aber wie hier meine Nachbarn wegen der Beseitigung eines Zaunes verklagen will. Im zweiten Schritt wird dann geprüft, ob die Inanspruchnahme nicht mutwillig ist. Mutwillig sind nur absolut unsinnige, von völliger und sicherer Erfolglosigkeit gekrönte, Fälle. Beispielsweise tippe ich in das örtliche Telefonbuch auf einen beliebigen Namen und bezichtige diese Person der Sachbeschädigung an meinem Fahrzeug, welches letzte Woche auf dem Supermarkt-Parkplatz eine Parkdelle bekommen hat. Auf diese Art eine Person in einen Prozess hineinziehen, das ist mutwillig. Aber die Aussicht, dass meine Klage nur äußerst geringe Erfolgschancen hat, das ist Alltagsgeschäft für Ihre Rechtsschutzversicherung und nicht mutwillig. Ein anderes, vielleicht nicht so krasses Beispiel, das ich früher gern bei Mandanten erzählt habe, ist: Sie leihen Ihrem Kumpel oder Ihrer Freundin einen Geldbetrag, sagen wir 500 Euro. Weil man befreundet ist, wird das Darlehen (so nennt man das als Jurist) eben nicht schriftlich fixiert und auch die Aushändigung des Geldes wird nicht quittiert. Man hat außer dem Wort seiner Freundin oder seines Freundes statt Geld nun nur salbungsvolle Wort „in der Hand.“ Es kommt, wie es kommen muss. Trotz mehrfacher Mahnung und mehreren Ermahnungen erfolgt keine Rückzahlung. Ihr Rechtsanwalt oder Ihre Rechtsanwältin schreibt Ihren Freund/Freundin an und siehe da, die Antwort lautet: „Ich habe nie ein Darlehen erhalten!“ Da niemand die Übergabe des Geldes beobachtet hat, stehen Sie völlig ohne Beweismittel da. Die Erfahrung sagt, dass bei einem derartigen Verhalten auch in einem Prozess der Freund/die Freundin einfach weiter behaupten wird, dass er/sie kein Geld erhalten habe. Sie werden den Prozess aller Erfahrung nach mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent verlieren. ABER! Nun kommt Ihre Rechtsschutzversicherung. Diese muss (nicht darf!) Ihren Sachvortrag, also die Behauptung „ich habe Geld verliehen“ bis zum Beweis des Gegenteils als wahr und richtig hinnehmen. Ist das aber so, kann Ihre Rechtsschutzversicherung eben nicht argumentieren, dass Sie im Prozess vermutlich in Beweisnot sein werden! Klar, zu 99 Prozent wird das so sein. Aber das eine Prozent zählt eben und man hat schon „Pferde vor der Apotheke ….“ Sie wissen schon! Was also einzig zählt, ist die Wahrheit, Ihre Wahrheit und die Rechtsschutzversicherung muss in dem Beispielfall die sog. Deckungszusage gegenüber Ihrem Rechtsanwalt erteilen. Ich habe dazu früher immer gesagt: Dazu ist die Rechtsschutzversicherung da. Nämlich, die unsicheren Prozesse sorgenfrei führen zu können. Wissen Sie mit absoluter Sicherheit, dass Sie ihren Fall gewinnen, dann muss der Gegner Ihnen alle Kosten inkl. der Kosten für Ihren Rechtsanwalt erstatten. Wozu brauchen Sie bei dieser Gewissheit noch eine Rechtsschutzversicherung? Absolut sichere Fälle sind aber eher die Ausnahme in vielen Rechtsbereichen und deshalb macht die Rechtsschutzversicherung vielleicht für Sie Sinn.

Bleiben Sie mir gewogen und vertragen Sie sich 😉

Ihr Ralf Beckmann

  1. Pressemeldung des Landgerichts Frankenthal vom 27.03.2023 https://lgft.justiz.rlp.de/de/startseite/detail/news/News/detail/entscheidung-des-monats-maerz-2023-2/
  2. Wer mehr über Richter und Ihre Denk- und Arbeitsweise erfahren möchte, dem empfehle ich:


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