Vor einigen Tagen las ich in einer großen Zeitung einen Artikel über die Möglichkeiten einer Eigenkündigung des Jobs. Das hörte sich alles sehr nett an, wenn einem empfohlen wird, dass man im Falle des sog. Bossing’s (also der Chef = Boss mobbt sie), lieber nachgeben und eine Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses aussprechen sollte; seiner Gesundheit zuliebe.
Wenn man so etwas als praktisch erfahrener Jurist liest, wird man unwillkürlich daran erinnert, dass selbst Richter manchmal nicht in der Lage sind, Ihre Prozesse erfolgreich zu führen. Warum? Weil Ihnen einfach das praktische Verständnis und die in Jahren erworbene anwaltliche „Trickkiste“ fehlt! Erst recht gilt dies bei Juristen, die gerade frisch von der Uni kommen oder eben auch Journalisten, die sich zuarbeiten lassen und so ein gefährliches Halbwissen oder unvollständige juristische Informationen verbreiten.
Einmal ehrlich, gehen Sie als Frau zum Friseur, wenn sich kahle Stellen in Ihrer Haarpracht im Alter von Mitte 20 zeigen (sog. Kreisrunder Haarausfall) und bitten ihn um Rat, oder fühlen Sie sich besser bei einer Hautärztin oder einem Hautarzt aufgehoben? Okay, Sie haben gewonnen. Wenn Sie den Friseur gewählt haben, lesen Sie nicht weiter und vertrauen Sie Journalisten …. 😉 Ansonsten, sollten Sie die eine oder andere praktische Überlegung bei Ihrem Problem mit ins Kalkül ziehen.
Natürlich kann man kündigen, wenn und wem man will! ABER! Wenn man keine finanziellen Nachteile möchte oder sich diese vielleicht gar nicht leisten kann, sollte man zuerst einmal tief durchatmen und dann wirklich alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.
Beispielsweise wird empfohlen eine Eigenkündigung in Erwägung zu ziehen, wenn man dauerhaft unglücklich sei oder von Kollegen oder auch dem Chef gemobbt würde oder ständig im Stress sei. Ich meine, man sollte in solchen Situationen vor einer nachteiligen Eigenkündigung zunächst einmal ärztlich abklären lassen, ob die körperlichen Einschränkungen, die das Mobbing bspw. mitgebracht haben, nicht bereits einen echten Krankheitswert haben und deshalb eine Arbeitsunfähigkeit bestätigen? Entschuldigen Sie bitte, liebe Journalisten, aber warum sollte man denjenigen, der einem Krankheit beschert, noch mit einer Eigenkündigung „belohnen“?
Auch eine zur Rechtfertigung thematisierte Umgehung einer Sperrfrist ist wenig hilfreich als echter, sinnvoller Rat an Betroffene. Natürlich kann man auch einen Kollegen aus dem Arbeitsrecht indirekt zitieren und erläutern, dass man die übliche Sperre des Arbeitslosengeldes von 12 Wochen umgehen könne, wenn man vielleicht einen Aufhebungsvertrag aus einem wichtigen Grund schließen würde. Wichtige Gründe seien bspw. Mobbing am Arbeitsplatz, die Pflege von Angehörigen oder die Vergütung weit unter dem lokalen Branchenniveau. Entschuldigung! Solche Ratschläge sollten m.E. eine Schadenersatzpflicht gegenüber dem Leser auslösen. Warum? Weil man als Rechtsanwalt von der ungünstigsten Möglichkeit ausgehen und sich und seinen Mandanten darauf vorbereiten muss. Außerdem scheint niemand bislang etwas von der Kraft des Faktischen gehört zu haben. Welcher Arbeitgeber bescheinigt im Aufhebungsvertrag Mobbing durch Kollegen des ausscheidenden Mitarbeiters? Wer bestätigt denn bitte, die Vergütung unter dem Branchenniveau?
Und selbst wenn das der Arbeitgeber es so bescheinigt. Wer sagt bitte, dass das Arbeitsamt nicht dennoch eine Sperrfrist verhängt? Merke, eine Aufhebungsvereinbarung birgt im Hinblick auf das Arbeitsamt immer Gefahren, nämlich die Gefahr des Verlustes von Geld! Warum sollte das Arbeitsamt die Sperrfrist trotz sorgfältiger Vorbereitung eines Aufhebungsvertrags verhängen? Antwort: weil es das kann! Dann werden naive Juristen ohne Praxisbezug einwenden, dass das Gericht A und das Gericht B in ständiger Rechtsprechung aber bestätigt haben, dass nachgewiesene Mobbingfälle zu einem Aufhebungsvertrag berechtigten und das Verhängen einer Sperrzeit rechtswidrig war! Und ich wende dagegen ein, dass ein solcher Jurist die Dinge eben einzelfallbezogen und ohne Praxiserfahrung denkt! Denken wir mal wie Boris Palmer, der Oberbürgermeister von Tübingen, der vor einigen Tagen eingeräumt hat, dass er aus Mangel an Personal allen Antragstellern (Migranten) ohne weitere Prüfung einfach eine Duldung für 3 Jahre hat aussprechen lassen. Dies, weil er für eine Prüfung der Fälle als Bürgermeister schlicht kein Personal habe. Aha, das ist ja mal eine praktische Lösung, oder? Und wenn es sich das Arbeitsamt einfach macht und sagt, egal was auch immer vorgebracht wird, wir verhängen erst einmal eine Sperrzeit! Was dann? Das Arbeitsamt ist nicht so offenherzig wie Boris Palmer überhaupt etwas zuzugeben, aber stellen wir uns mal folgende Denkweise des Leiters des örtlichen Arbeitsamtes vor: „Wir, das Arbeitsamt haben einfach nicht genug Personal und das vorhandene Personal kann den schmalen Grat zwischen richtig und falsch bei der Sperrzeit nicht korrekt juristisch ausloten. Deshalb bekommen alle eine Sperrzeit. Wenn uns dann Gerichte, sagen wir in 10 Prozent der Fälle bestätigen, dass war falsch, dann zahlen wir eben nach.“ Alles gut, denkt der Laie. Aber ich sage, nebenbei rechnet der Leiter des Amtes natürlich auch noch wie folgt: von den 50 Prozent der Antragsteller, bei denen die Sperrzeit unberechtigt verhängt wurde, klagen ehedem nur 10 Prozent. D.h. 90 Prozent nehmen fluchend die „falsche“ Entscheidung hin. Von den 10 Prozent, die eine Klage einreichen, haben nur 50 Prozent einen Anwalt. Die Kosten, die durch das Verfahren entstehen, sind also über alle Fälle hinweg überschaubar. Sie ahnen es bereits. Am Ende „rechnet“ sich das pauschale Verhängen der Sperrzeit also durchaus für Vater Staat bzw. die Bundesagentur für Arbeit. Sie glauben, das gibt es nicht? Alles schon in Variationen selbst erlebt, in meiner Tätigkeit als Rechtsanwalt. Sie sollten vielmehr glauben, dass auch Vater Staat und seine Bediensteten immer mal wieder so einige Dinge unternimmt, um sich vor Schaden (Zahlungen an lästige Bittsteller) zu bewahren.
Deshalb mein Rat: wenn Sie schon eine Eigenkündigung nicht völlig ausschließen, sollten Sie zunächst herausfinden, ob der Arbeitgeber nicht vielleicht Ihnen kündigen möchte. Warum mobbt der Boss sonst eigentlich, außer um Sie loszuwerden? Warum sollten Sie ihrem Boss oder Arbeitgeber mit finanziellen Nachteilen zuvorkommen und eine Sperrzeit in Kauf nehmen, wenn ihr Arbeitgeber nicht vielleicht auch schon die schriftliche Kündigung in der Schublade hat? Es gibt immer Mittel und Wege, ein offenes Wort zu sprechen.
Auf jeden Fall sollten Sie aber mit einkalkulieren, dass Sie zunächst einmal eine Sperrzeit bekommen! Völlig egal, ob diese berechtigt oder unberechtigt ist. Wenn Sie von diesem worst case, also dem schlechtest denkbaren Ausgang der Sache ausgehen und dann trotzdem finanziell und emotional klarkommen, können Sie Ihre Maßnahme ergreifen. Denn dann gewinnen Sie auf jeden Fall. Kommt die Sperrfrist (wenn auch unberechtigt), recht behalten. Kommt sie nicht, umso besser! Also, wenn Sie sich eine Sperrfrist weder leisten können, noch wollen, dann lassen Sie das mit der Eigenkündigung! Mit einer klaren Strategie in diesem Sinne lebt es sich dann auch leichter und es lässt sich auch leichter kämpfen. Wenn Sie die Sperrfrist überrascht, obwohl Ihnen Ihr beratender Rechtsanwalt zunächst gesagt hat, sie sind auf der sichereren Seite, wenn …, und sie einfach keine finanziellen Reserven haben, um die 12 Wochen zu überstehen, dann werden Sie im obigen Sinne vielleicht auch auf die Klage gegen die Verhängung der Sperrzeit verzichten, also alles was sich das Arbeitsamt erhofft …. 😉 Sind Sie dagegen auch für den ungünstigsten Fall gerüstet und werden nicht überrascht, holen Sie sich Ihr Geld mit der Klage zurück. Dann haben Sie und Ihr Rechtsanwalt vielleicht schon eine Vereinbarung getroffen oder sie haben einen kompetenten Kollegen/Kollegin gefunden, der die Sache auch mit Prozesskostenhilfe für Sie durchzieht, usw. usf.
Will nur sagen, bereiten Sie sich mit Ihrem Rechtsanwalt oder auch allein mit praktischen Lebensstrategien auf einen Kampf gegen Arbeitgeber und Behörde vor und nicht mit theoretischen Ratschlägen, ja, aber die Gerichte sagen doch …. Glauben Sie nicht, dass immer mit noch so guten juristischen Argumenten die Behörde A oder B oder der Arbeitgeber C oder D einknickt, auch wenn Sie tatsächlich mit Ihren Argumenten richtig liegen! Wenn Sie etwas von der Behörde wollen und die sagt NEIN, dann ist das so, bis ein Gericht die Behörde verdonnert! Ich als Rechtsanwalt habe außergerichtlich vorrangig deshalb geschrieben, um bestimmte Rechte meines Mandanten zu wahren, diese zu begründen (bspw. Verzug der Gegenseite) usw. Und nicht, weil ich davon ausging, dass ein kampferprobter Arbeitgeber oder eine sture Behörde sich noch vom Gegenteil „überzeugen“ lässt. Das tun Sie in aller Regel nämlich nicht, weil es so einfach ist nein zu sagen und nicht immer zwingend einer Begründung bedarf.
Bleiben Sie mir gewogen und vertragen Sie sich 😉
Ihr Ralf Beckmann
P.S. Obiges Beispielfoto für einen tollen Arbeitsplatz: Toa Heftiba auf unsplash.com Vielen Dank!